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Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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dem Westen?«
    »Ist das wichtig?«
    »Gehst du hier zur Schule?«
    »Ich bin fertig mit der Schule.«
    »Studierst du in der Stadt?«
    »Ich möchte keine Fragen beantworten.«
    »Klar.«
    Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander. Das Auto sah neu aus. Ab und zu, wenn der Qualm sich verzog, roch Julika die frischen Bezüge und die Ausdünstungen der Gummimatten.
    »Ich bin zwei Jahre nach der Wende rübergegangen«, sagte die Rothaarige und hetzte ihren Beetle über die nasse Straße. »Ich bin Sozialarbeiterin, das ist oft ein aussichtsloser Job, die Leute sind arbeitslos, sie schimpfen auf die Ausländer, dass ein Asylbewerber Geld kriegt, verstehen die nicht, der kriegt so viel Geld wie ein Sozialhilfeempfänger, hat aber keine Pflichten, jedenfalls glauben das die Leute. Und das führt zu Aggressionen. Wir haben hier eine Arbeitslosenquote von fast zwanzig Prozent, die Leute wollen weg, aber sie wissen nicht, wohin, woanders ist es auch nicht besser, zumindest im Osten. Hier ist der Osten, und drüben ist der Westen, das ist immer noch so, das wirst du merken, wenn du länger hier lebst. Hast du vor, hier zu bleiben?«
    »Ich bleib nicht hier«, sagte Julika. »Ich geh bald weg, zusammen mit meinem Freund.«
    »Das ist klug. Ich bin gern hier, trotz allem, ich geh nicht wieder zurück, ich komm ursprünglich aus Stuttgart, was soll ich da noch? Meine ehemaligen Freunde haben alle Spitzenjobs, für die bin ich eine Träumerin.«
    »Sie träumen doch nicht«, sagte Julika. »Sie tun doch was.«
    »Ich danke dir«, sagte die Rothaarige. »Wo wollt ihr denn hin, dein Freund und du?«
    »Wissen wir noch nicht«, sagte Julika und sah aus dem Fenster. Sie hatten die Hamburger Straße erreicht, die Ausläufer der Innenstadt.
    »Passt auf euch auf«, sagte die Rothaarige und gab Julika zum Abschied die Hand.
    Auf dem Foto, das sie einige Tage später in der Zeitung sah, erkannte sie das Mädchen sofort wieder.
    »Setzen Sie sich.« Sie setzte sich.
    »Was möchten Sie trinken?«
    Sie bestellte einen schwarzen Tee.
    »Was möchten Sie essen?«
    »Nichts.«
    »Geht es Ihnen gut?«, fragte Süden.
    »Ja.«
    »Sie haben freiwillig die Wohnung in der Wolgaster Straße verlassen?«
    »Ja.«
    Er machte sich auf seinem kleinen karierten Spiralblock Notizen.
    »Sie haben eine neue Unterkunft hier in der Stadt.«
    »Ja.«
    »Sie leben nicht auf der Straße.«
    »Nein.«
    »Bezahlen Sie Miete?«
    »Ja.«
    »Sie haben also Geld von zu Hause mitgenommen.«
    »Ja.«
    »Was ist mit der Schule? Haben Sie vor, sie abzubrechen?«
    »Das geht Sie nichts an.«
    »Werden Sie in nächster Zeit in Ihr Zuhause zurückkehren?«
    »Welches Zuhause?«
    »Bleiben Sie hier in der Stadt?«
    »Das geht Sie nichts an.«
    »Werden Sie mit Rico Keel zusammenwohnen?«
    »Ja.«
    »Wollen Sie heiraten?«
    »Und wenn, sind Sie der Letzte, den wir einladen.«
    »Sie sehen sehr müde aus«, sagte Süden. Julika antwortete nicht.
    »Hat Ihr Vater sich noch einmal bei Ihnen gemeldet?« Sie sah weg.
    »Was hat er gesagt?«
    »Kann ich ein Glas Rotwein haben?«
    »Welche Sorte?«
    »Ist mir gleich.«
    Süden winkte der Bedienung, es war nicht dieselbe wie am Vortag. Er bestellte einen spanischen Rioja und ein Pils.
    Bis die Getränke kamen, schwiegen sie. Süden legte den Block auf den Tisch und den Kugelschreiber darauf. Er bemühte sich Julika nur dann anzusehen, wenn sie als Erste den Kopf zu ihm drehte.
    »Zum Wohle, die Herrschaften.«
    Süden nahm sein Glas. »Auf Ihr Wohl, Julika.«
    »Danke«, sagte Julika leise und trank einen kleinen Schluck. Wie Süden.
    »Haben Sie noch einmal mit Ihrer Mutter gesprochen?« Julika schwieg. Dann schüttelte sie kurz den Kopf.
    »Wird Ihre Mutter Sie vermissen?« Julika zuckte mit der Schulter.
    »Ihr Vater vermisst Sie auf jeden Fall«, sagte Süden.
    »Auf seine Weise, das ist klar. Ist er das alles wert? Die Flucht, das Unterwegssein, die Unsicherheit…«
    Sie fiel ihm ins Wort. »Ich bin nie sicherer gewesen!« Und wie Rico fügte sie hinzu: »Darauf können Sie wetten!«
    »Warum waren Sie im Dezember hier? Was wollten Ihre Eltern in der Stadt?«
    Julika trank, leckte sich die Lippen, trank noch einmal.
    »Mein Vater hat an der Börse Geld gemacht. Er dachte, er ist superschlau. Er hat eine Million rausgeholt. In Mark. Eine Million. Er hat in Elektronik investiert, High Tech, und in die Unterhaltungsindustrie. Er hat damit angegeben, wie clever er ist. Er hat die Aktien hin und her geschoben. Und dann hat er

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