Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
schlängelte.
    »Ich ruf jetzt die Polizei an.«
    »Gut«, sagte Süden.
    Eine Weile wartete Rico an der Tür, den Apparat in der einen, den tutenden Hörer in der anderen Hand.
    »Was jetzt?«, sagte er. »Ich habs eilig.«
    »Sie können gehen, ich bleibe hier«, sagte Süden und sah, wie Ricos Gedanken an dessen Stirn zerrten. Er wiederholte: »Sie können gehen. Vergessen Sie die Decke nicht.«
    Rico stand da, innerlich und äußerlich zerzaust. Süden schloss die Augen und lehnte den Kopf an die Wand.

20
    I m Dunkeln huschte sie aus dem Holzhaus. Sie hatte Rico versprochen, den Unterschlupf nicht zu verlassen, und nun hatte sie ihr Versprechen gebrochen.
    Nach drei Stunden konnte sie nicht länger warten, sie hatte ihn von ihrem Handy aus bei seiner Mutter anrufen wollen, doch der Akku war leer. Er hatte sie gebeten, erreichbar zu sein, wenn er unterwegs war, also hatte sie das Gerät die ganze Zeit über eingeschaltet gelassen.
    Am vergangenen Sonntagabend hatte Rico ihr, ohne vorher einmal darüber gesprochen zu haben, mitgeteilt, sie müsse die Wohnung wechseln, und zwar sofort. Und so wie er vor ihr gestanden hatte, mit dem geschwollenen Gesicht, dem Verband und den Wundpflastern, begriff sie, dass jedes Widerwort zwecklos wäre.
    In den Tagen danach rief er Julika ständig an. Die meiste Zeit verbrachte er in seiner Wohnung, niemand sollte die Spur zu ihrem Versteck finden. Jedem, der ihn fragte, erzählte er, Julika sei abgereist, und er wisse nicht, wohin. Nur seiner Mutter gestand er zu wissen, wo sie sich aufhielt, mehr jedoch nicht. Julika meinte, er könne doch seiner Mutter vertrauen, und er erwiderte, es gehe nicht um Vertrauen, sondern um Schutz, und er müsse sie beide beschützen, seine Mutter und Julika.
    Einmal war ihr Vater am Telefon. Sie kappte sofort die Verbindung. Er rief wieder an, und sie schaltete wieder ab. Daraufhin sprach er auf die Mailbox und stieß seine üblichen Drohungen aus: Er würde ihr kein Geld mehr geben, keinen Cent, er würde sie unter Hausarrest stellen, er würde sie zwingen, zur Schule zu gehen, er würde… er würde… Sie ekelte sich vor seiner Stimme. Ihre Mutter rief nie an. Das war ihr recht. Vor zwei Tagen, als sie allein am Tisch saß, in ihr Tagebuch schrieb und schwarzen Beuteltee trank, der ihr nicht schmeckte, klingelte wieder das Handy, und sie freute sich, Ricos Stimme zu hören.
    »Komm sofort nach Hause!«, befahl ihr Vater. Sie schaffte es nicht einmal abzuschalten. Sie legte das Gerät neben das Tagebuch. Die Stimme ihres Vaters klang verzerrt.
    »… Bist du verrückt geworden?… Was bildest du dir eigentlich ein?…«
    Das, fand sie, war eine gute Frage. Was bildete sie sich eigentlich ein? Nachdem sie mitten in einem seiner Sätze den roten Knopf gedrückt hatte, schrieb sie in ihr Tagebuch: Ich bilde mir das selbstbestimmte, unzerstörbare Leben ein. Und in diesem Leben gibt es einen Menschen, mit dem ich aus meiner Einbildung hinaus in die Welt trete, und zwar in Schönheit. Gerade habe ich wieder einen Schritt geschafft. Von unserem Anfang kann uns niemand vertreiben. An der Schnellstraße, einige Meter von den Holzhäusern entfernt, stand eine Telefonsäule. Als sie näher kam, fiel ihr ein, dass sie keine Telefonkarte besaß und vergessen hatte, Geld einzustecken.
    Sie schlug mit der flachen Hand gegen den Apparat. Autos rasten vorüber. Sie klammerte sich an die Säule, die nass und kalt war. Es regnete, wie schon den ganzen Tag, ein schwarzes unaufhörliches Nieseln.
    Grelle Lichter kamen ihr entgegen. Wasser spritzte. Harte Tropfen schlugen ihr ins Gesicht. Sie musste etwas tun. Entweder sie ging zurück oder weiter, an der Straße entlang in Richtung des Stadtteils, in dem Rico wohnte, zwei oder drei Kilometer. Oder sie nahm die S-Bahn. Aber sie wollte niemanden sehen.
    In der Dunkelheit fühlte sie sich sicher. Sie hatte Angst vor fremden Blicken. Sie bildete sich ein, jemand, den sie nicht kannte und der sie anschaute, würde sie mit seinem Blick tätowieren, und sie hätte dann schmerzhafte Zeichen auf der Haut.
    »Hallo? Kann ich dir helfen?«
    Vor Schreck rutschte ihr die Hand vom Metall. Ein gelbes Auto hatte angehalten, das Fenster auf der Beifahrerseite glitt herunter. Julika blieb bei der Säule, die Hände zu Fäusten geballt.
    »Kann ich dich mitnehmen?« Im Auto saß eine Frau. Sie hatte rote Haare und war ungefähr fünfzig.
    »Ich muss telefonieren.«
    »Ich leih dir mein Handy.«
    »Wieso denn?«, sagte Julika.
    Die

Weitere Kostenlose Bücher