Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
echt, dann gibt es einen endlich. Und die Leute gaffen einen an, weil sie einen nicht wieder erkennen, sie denken, man ist jemand anderes, aber man ist endlich derselbe, der man immer schon gewesen ist in seinem Herz. Das Herz war hinter einem Verschlag, das hat keiner gesehen, ich hab es dort gebunkert, damit niemand drankommt und es wegwirft wie Abfall. Sie können meinem Vater ausrichten, es hat keinen Sinn, mich zu suchen, er würd mich nicht wieder erkennen. Und Sie können meiner Mutter sagen, wenn sie denkt, sie ist echt, dann täuscht sie sich. Bei uns ist niemand echt. Und wär ich nicht gegangen, dann wär ich niemals echt geworden, dann wär ich eine Fälschung geblieben. Jetzt bin ich hier und bald werd ich in einer anderen Stadt sein. Und dann werd ich die Arme in den Himmel strecken und die Vögel streicheln, und es wird ein großer Gesang sein über uns.«
    »Ja«, sagte Süden. Er hob sein Glas. »Möge es nützen.«
    »Bitte?«, sagte Julika.
    »Mein Freund Martin sagte das immer statt Prost. Möge es nützen. Er war mein bester Freund.«
    »Dann wird es stimmen«, sagte Julika.
    »Dann wird es stimmen«, sagte Süden.
    Sie tranken. Julika stellte das Glas hin und stand auf und schwankte. »Jetzt gehe ich, und wehe, Sie verfolgen mich!«
    »Ich bin ein schlechter Verfolger.«
    »Fahren Sie nach Hause!«, sagte sie. »Dort passiert Ihnen nichts.«
    Sie eilte zur Tür, riss sie auf und verschwand. Süden blieb eine Minute lang wie erstarrt sitzen. Dann sprang er auf und rannte die Steintreppe zum Bürgersteig hinauf, sah sich um und lief am Eingang des Hotels vorbei bis zur Straße.
    »Julika!«, rief er. »Julika!« Keine Antwort weit und breit.
    »Julika!«, schrie er. Auf dem Marktplatz gegenüber drehte sich ein Betrunkener um und winkte ihm überschwänglich.

22
    I n dieser Nacht schrieb er seinen Bericht. Auf zwei Seiten gab er das Gespräch wieder, das er mit Julika geführt hatte, wobei er ihren Monolog so umwandelte, dass es klang, als hätte er Fragen gestellt und sie darauf geantwortet. Er musste mehrmals ansetzen, um seine persönliche Bewertung der Situation und des Zustands, in dem sich die vermisste Person befand, nicht vorwegzunehmen. Dafür wollte er am Ende einen gesonderten Absatz anfügen. Ihm kam es darauf an herauszustellen, dass es sich bei der Sache Julika de Vries um keine Vemissung mehr handelte, sondern um eine Aufenthaltsermittlung, die nun abgeschlossen war. Auch wenn er keine Adresse angeben konnte, so vermerkte er die Anschrift von Marlen und Rico Keel, wies aber darauf hin, dass Julika de Vries verboten hatte, diese Anschrift an ihre Eltern weiterzuleiten. Süden hoffte, sein Vorgesetzter würde die Bitte respektieren. Weglassen konnte er den Vermerk nicht, sonst wäre der Bericht unvollständig gewesen, und Thon hätte ihn ermahnt, die Anschrift im Nachhinein einzutragen. Nicht einmal weggelaufene Kinder durften sie zu den Eltern zurückbringen, wenn der begründete Verdacht bestand, sie könnten geschlagen oder misshandelt werden. Dann betreute das Jugendamt vorübergehend die Kinder. Und Julika? Er wusste nicht, was sie vorhatte. Sie hatte ihm die Gründe ihrer Flucht offenbart, sein dienstlicher Auftrag war beendet.
    Aber er hatte vergessen, Julika das Geld für das Taxi zu geben.
    »Ich gratuliere dir«, sagte Sonja Feyerabend am Telefon. Wie versprochen, hatte er sie angerufen.
    »Ich bleibe noch einen oder zwei Tage«, sagte Süden.
    »Warum?«
    »Die Ermittlungen über die Explosion auf dem Schiff sind noch nicht abgeschlossen. Ich möchte nicht, dass Julika im letzten Moment darin verwickelt wird.«
    »Sie ist bereits darin verwickelt.«
    »Der junge Mann wurde nicht von Unbekannten zusammengeschlagen.«
    »Das hast du mir schon zweimal erklärt«, sagte Sonja.
    »Misch dich nicht in die Arbeit der Kollegen.«
    »Ich habe mich schon eingemischt.«
    »Dann hör jetzt damit auf. Du hast das Mädchen gefunden, innerhalb eines Tages, du hast sie zum Reden gebracht, du hast deinen Bericht geschrieben, du hast dort nichts mehr verloren.«
    »Warum schweigt der junge Mann?«
    Er hörte Sonja stöhnen, dann ein Rascheln von Zeitungspapier.
    »Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er schweigt, weil er Angst hat.« Er trank Mineralwasser aus der Minibar.
    »Vielleicht schweigt er aus Solidarität.«
    »Und warum wurde er dann zusammengeschlagen?« Er hörte, wie Sonja auf ein Kissen klopfte.
    »Du vermutest, er wurde überfallen, weil jemand ihn einschüchtern

Weitere Kostenlose Bücher