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Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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plausibel, und er hätte es zugeben können. Sonja brauchte er nichts vorzumachen. Sie ahnte, was in ihm vorging. Er stimmte ihr zu, weil er sie respektierte, und er stimmte ihr nicht zu, weil er anders funktionierte als sie. So anders, dass sie sich beide manchmal fragten, wieso sie zusammen waren. Denn sie waren noch immer zusammen, nach all der Zeit, den Jahren der Ausgelassenheit und des Übermuts, Jahren der Schönheit und der Begierde, Jahren reich an Nähe und Verständnis, Jahren, die wie Brandmale auf ihrer Haut waren. Und wenn sie heute einander berührten, empfanden sie manchmal einen Schmerz, der sie aufschreien ließ. Vielleicht, dachte Süden jetzt, und Julikas Stimme verklang, und er hörte seinen Freund Martin sprechen, aus einer Gegend weit hinter der Mauer, die die großen Jahre von der Gegenwart trennte, vielleicht hatte Martins Tod das endgültige Ende ihres zerbröckelnden Glücks bedeutet, und sie weigerten sich zu begreifen, dass man nicht überleben konnte, wenn man bei jeder Berührung beinah ohnmächtig wurde. Wie Menschen, die einen Toten identifizieren müssen. Manchmal fragten sie sich und fragten einander, ob der andere noch für einen selbst existierte, dort, wo früher der Stern gewesen war, der sie beschützte. Und dann sagten sie sich und sagten einander: Ja. Sie sagten Ja, und sie meinten es so, und etwas in ihnen meinte es nicht so, und sie wagten nicht es zuzugeben.
    »Tabor?«, sagte Sonja Feyerabend.
    »Nein«, sagte er. »Nein.« Sie mussten still sein.
    Dann sagte Süden: »Vielleicht fahren wir eine Woche ans Meer.«
    »Wir fahren nirgendwo hin. Ich werd allein verreisen, wie immer. Sei nicht kindisch.«
    »Ich bin nicht kindisch«, sagte er. »Ich sitze auf dem Boden wie ein alter Bär, der nicht mehr hochkommt.«
    »Dann dreh dich zur Wand und stirb.«
    »Zu früh«, sagte er.
    Sie legten auf, und er holte ein weiteres kostspieliges Mineralwasser aus der Minibar. Er überlegte, wann er das letzte Mal Urlaub am Meer gemacht hatte. Wann er überhaupt Urlaub gemacht hatte. Wegen eines vermissten Jungen war er vor einiger Zeit an die Nordsee gefahren und sogar in ein Flugzeug gestiegen, das ihn auf die Insel Helgoland brachte, ein klaustrophobisches Erlebnis. Das war, nachdem sie Martin beerdigt hatten. Und das Erste, was er nach seiner Rückkehr tun musste, war, Martins Wohnung ausräumen. Seither war er nicht mehr verreist. Er hatte regelmäßig frei, zwei Wochen, drei Wochen, im Dienstplan stand dann Urlaub. Aber er baute nur Überstunden ab und stemmte sich gegen die Wände seines Zimmers und beschäftigte seinen Schatten.
    Wie bei einem Reflex schaltete er das Licht aus. Und schaltete es sogleich wieder ein.

23
    D evor er ein Wort herausbrachte – und er hatte viele Worte auf Lager, seit Julika ihm gesagt hatte, dass sie schwanger war -, presste sie ihren Mund auf seine Lippen und zwang ihn mit hartem Druck, den Mund zu öffnen. Er tat es und schmeckte den Wein, den sie getrunken hatte, und ihr Atem gefiel ihm nicht. Sie biss ihn, und er wusste nicht, wie er sich wehren sollte und ob er es durfte.
    »Nimm mich mit!«, flüsterte sie zwischen den Küssen.
    »Nimm mich mit!«
    Weder wie sie sprach noch was sie sagte versöhnte ihn mit der Situation. Gerade hatte er genug Luft, um zu sprechen, da stieß sie ihn mit einem Schlag gegen die Schulter von sich weg, ließ sich auf die Bank fallen, schnaufte, wie sie es noch nie getan hatte, und warf mit dem Ellbogen die Wasserflasche um. Ihr Blick flößte ihm Angst ein, weil er ihn an ihr nicht kannte.
    »Nimm mich mit!«
    Vor Schreck stieß er mit dem Knie gegen die Anrichte. Kaum war es still, sprang Julika auf und schaltete den kleinen Fernseher ein. Sie zappte durch die Programme. In einer Musiksendung sang eine englische Band ein Lied aus den achtziger Jahren. Ein paar Sekunden lang hörte Julika zu. Dann legte sie die Fernbedienung neben den Ausguss, drehte sich mit einer unerwarteten Bewegung um, umarmte Rico und begann mit ihm zu tanzen.
    In der Enge des Zimmers, das Wohnraum und Küche zugleich war, drehten sie sich im Kreis. Endlich brachte Rico den Mund auf. »Du bist betrunken.«
    Sie sagte: »Ich hab eine Freundin, sie heißt Sarin. Wir können bei ihr bleiben…«
    »Sei doch ruhig!«, sagte er. Sie schob ihn vor und zurück, am Tisch vorbei bis zur Tür des Schlafraums, die geschlossen war. Dann drehte sie ihn herum. Und er spürte ihr Knie zwischen seinen Beinen.
    »Nimm mich mit, nimm mich mit nach

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