Gottes Tochter
seine Beine. Seine Socken waren aufgeweicht, das kotzte ihn an. »Der kennt doch niemand! Bist du sicher, dass er sich nicht in einer von deinen Hundehütten verkrochen hat?«
»Ja«, sagte Gottow. »Und das passt mir nicht, dass das alles wieder losgeht. Ich will davon nichts mehr hören!«
»Wirst du müssen!«, schrie Juri. »Die kriegt einen Orgasmus, die Staatsanwältin, wenn die erfährt, dass Steffen tot ist! Das macht die heiß! Erst die Ale, dann Steffen, da muss es einen Zusammenhang geben! Oder?«
»Ale«, sagte Gottow. »Die Ale, was hat die denn dafür gekonnt? Das war eine Schnapsidee von dir, dieses Fest auf dem Schiff, eine Schnapsidee war das…«
»Halt die Klappe!«, schrie Juri. Dann winkte er ab und reckte den Kopf in die Höhe. »Wir feiern wieder, das kapierst du nicht in deinem kaputten Schädel! So wie früher! Auf dem Schiff waren lauter Freunde, die…« Er winkte ab.
»Ich will nicht, dass das wieder losgeht«, sagte Gottow mit mürber Stimme. »Ich mach keine Aussagen mehr, ich hab genug Aussagen in meinem Leben gemacht. Ich will nicht wissen, wieso Rico den Steffen erschlagen hat, will ich nicht; wissen, er wird schon einen Grund gehabt haben.«
»Scheiße!«, brüllte Juri und sprang auf. In diesem Moment kam eine untersetzte Frau Mitte vierzig in die Gaststube, sie trug zwei Körbe mit Gemüse und abgepackten Lebensmitteln.
»Hallo, Juri«, sagte sie. Juri sagte nichts.
»Hallo«, sagte sie zu Gottow. »Ich hab gehört, was passiert ist. Stimmt das, dass Rico der Mörder ist?«
»Kann sein«, sagte Gottow. Er musste wieder an heute Morgen denken, an gestern Morgen, an vorgestern Morgen, an…
»Trink nicht so viel«, sagte sie.… den morgigen Morgen…
»Lass uns allein, Mandy!«, sagte er.
»Tut mir Leid wegen deinem Freund«, sagte sie zu Juri und zwängte sich durch die Küchentür.
Zwischen Vater und Sohn lagen mumifizierte Worte. Gottow zog ein verschmutztes Taschentuch aus der Hose und schnauzte sich, betrachtete den Rotz und knüllte das Tuch zusammen. Juri rückte seine Lederjacke zurecht, zuckte mit der Schulter, steckte die Hände in die Taschen, stand breitbeinig vor dem Tisch.
»Steffen war der Einzige, auf den Verlass war«, sagte Juri.
»Denkst du, jemand bringt ungestraft meinen besten Freund um? Denkst du, ich warte, bis die Bullen ihn festnehmen und dann wieder rauslassen, weil er so ein armer Hund ist? Ich hab niemand mehr, Ale ist tot, Steffen ist tot…«
»Ich bin noch nicht tot«, sagte Gottow.
»Bist du sicher?«, fragte Juri. Er drehte sich weg, während er weiterredete. »Du hättest dich neben Mutter ins Grab legen sollen, das wär dir sowieso am liebsten gewesen, ich war dir scheißegal. Du mir auch. Du wolltst mir einreden, dass sie sich umgebracht hat, weil die Sache mit dem brennenden Haus passiert ist, weil ich dauernd bei der Polizei war und das Fernsehen über mich berichtet hat, du wolltst mir die Schuld zuschieben!«
»Sie hat sich wegen dir umgebracht!«, schrie Gottow. Er ächzte. Die Tischkante drückte gegen seinen Bauch, er wollte aufstehen, aber er kam nicht hoch. »Wenn du nicht in dem Haus gewesen wärst…«
»Sie hat sich umgebracht, weil sie die neue Zeit nicht kapiert hat«, sagte Juri, und es klang ebenso sachlich wie abfällig. »Sie hat nicht kapiert, dass da niemand mehr ist, der sich um sie kümmert, sie hat gedacht, die BRD kümmert sich um sie!«
»Ich hab den Mann gesehen«, sagte Gottow heiser. Er blickte zur Küchentür, die sich eine Handbreit geöffnet hatte. Mandy streckte den Kopf heraus, sie hatte sich ein Kopftuch umgebunden und ein Geschirrtuch in der Hand. Sie stand nur da und sagte nichts. Sie beobachtete den dicken schwitzenden Mann, der zwischen Bank und Tisch eingezwängt dasaß und den sie in einer Art bescheidener Hingabe liebte. Sie wusste, wie sehr er an seiner Frau gehangen hatte und dass er keine einzige seiner Erinnerungen auslöschen wollte. Manchmal, wenn sie morgens aufwachte und bemerkte, wie er sie ansah, kalt und gehässig, dann wünschte sie, sie fände eine Möglichkeit ihm zu erklären, dass der Tod sie nicht als hämischen Ersatz zu ihm geschickt hatte, sondern dass sie eine andere Frau war, bereit, ihm ein neues Umarmen beizubringen, so schwer seine inneren Gewichte auch sein mochten. Von der Küchentür aus kam es ihr vor, als würde ihr Blick in einem Morast aus Abscheu und Zorn versickern.
»Ich hau ab!«, sagte Juri wieder.
Mandy schloss leise die Tür, erleichtert, dass
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