Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
das Wasser für die Suppe kochte.
    »Ich hab den Vietnamesen vor den Füßen gehabt…«
    »Hör auf damit!«, schrie Juri und knöpfte sich die Lederjacke zu.
    »Ich hab ihn vor den Füßen gehabt«, sagte Gottow und hielt die leere Bierflasche quer, umklammerte sie mit beiden Händen.
    »Du kannst das alles wegschieben, ich kann das nicht, ich sauf zu viel, das weiß ich selber, aber das mach ich, weil es eine Gewohnheit ist. Früher, als Mutti noch gelebt hat, hab ich auch Bier getrunken. Das eine hat mit dem andern nichts zu tun, verstehst du…«
    »Sag mir bloß Bescheid, wenn Rico hier auftaucht!«
    »Ich seh den Vietnamesen vor mir liegen, wir waren die einzigen Beamten, die so nah an dem brennenden Haus dran waren. Da klirren auf einmal die Scheiben, und dann fällt der Kerl aus dem Fenster, und ich seh hoch, und was seh ich? Ich seh dich am Fenster. Und…«
    »Hast du vergessen, wieso ich nicht mehr herkomm? Hä?«, schrie Juri. »Weil ich diese Geschichten nicht mehr hören kann! Heut Nacht ist mein bester Freund ermordet worden…«
    »Heut in einer Woche ist der siebte Todestag von deiner Mutter«, sagte Gottow. Juri sagte nichts.
    »Sieben Jahre ist sie tot, und ich hab meinen Job verloren…«
    »Ich auch!«, schrie Juri.
    »Du gehst doch freiwillig«, sagte Gottow. »Du könntest da gut weitermachen, du willst nicht, du schmeißt alles hin…«
    »Ich lass mich nicht verarschen, der Kerl hat mir versprochen, ich krieg… Was geht dich das an?«
    »Ich weiß nur, ich werd nächste Woche wieder allein am Grab stehen und nicht verstehen, wieso sie weg ist. Du sagst, es war wegen der neuen Zeit. Ich sag, es war, weil die Polizei dich für einen Mörder gehalten hat, das hat sie nicht ertragen. Und ich weiß bis heut nicht, was stimmt. Ich weiß nicht mal, ob du nicht doch ein Mörder bist. Ich hab ausgesagt, ich hätt nichts gesehen, und das werd ich bis an mein Lebensende sagen. Auch wenn jetzt alles wieder von vorn losgeht, ich sag nichts anderes. Ich kann nichts beweisen. Aber Ale und Steffen und Rico, die hätten was beweisen können, und jetzt sind Ale und Steffen tot. Nur Rico lebt noch. Und du. Ihr beide. Ich hab den Vietnamesen gesehen, der ist mir vor die Füße gefallen. Dann ist er gestorben. Und dann ist Erna gestorben. Mandy, bring mir noch ein Bier!« Er klopfte mit der Flasche auf den Tisch, was auf der grünen Decke nur ein dumpfes Geräusch verursachte.
    »Ich wart auf deinen Anruf«, sagte Juri und ging zur Tür.
    »Trink doch was«, sagte Gottow.
    »Der kommt hier nicht ungeschoren weg!« Juri schlug die Tür hinter sich zu.
    Gottow stellte die Flasche hin und stippte sie mit dem Finger an. Sie kippte um. Er rollte sie über die Tischdecke, hin und her, von links nach rechts, vor und zurück. Aus der Küche hörte er das Klappern von Besteck und leise Radiomusik. Die Flasche rollte an den Rand des Tisches. Gottow wartete, dass sie runterfiel. Sie fiel nicht. Siebter Todestag. Es würde regnen, wie jedes Jahr. Er würde allein da stehen, das machte ihm nichts aus. Er nahm die Flasche und klopfte damit auf den Tisch.
    »Bring mir noch ein Bier!« Er erhielt keine Antwort.
    Was sollte er tun, wenn die Polizei auftauchte und die Bungalows durchsuchen wollte, mit richterlicher Befugnis? Das war wahrscheinlich. Schon früher war Rico öfter hier gewesen. Die Küchentür ging auf. »Du, Willi«, sagte Mandy, die ein kleines Messer in der Hand hielt.
    »Ich bild mir ein, ich hab in fünfzehn ein Licht gesehen, wohnt da jemand?«
    »Nein«, sagte Gottow.
    »Ich glaub, ich hab aber ein Licht gesehen.«
    »Wann gibts Essen?«, fragte Gottow.
    »Bald«, sagte Mandy und hatte den Eindruck, diesmal dulde er ihren Blick. »Habt ihr euch gestritten?«
    »Nein.«
    »Er war lang nicht mehr hier.«
    »Und ich war lang nicht mehr in der Wohnung«, sagte Gottow und wuchtete seinen Körper aus der Bank.
    »Kommen Gäste in dieser Woche?«
    »Bis jetzt nicht.«
    »Dann sind wir wieder ganz allein.«
    »Sind wir auch so«, sagte Gottow.
    Mandy streckte die Hand aus, als er an ihr vorbei zur Toilette ging. Er sah hin und fragte sich, was er mit der Hand anfangen sollte.

29
    I n Ricos blauem, weitem Jeanshemd saß sie am Tisch und betrachtete zwischen den Sätzen, die sie schrieb, wieder einmal ihre schwarz lackierten Fingernägel. Bis auf einen schmalen Spalt waren die Vorhänge zugezogen. Kein Licht brannte. Sie konnte wenig sehen, aber das störte sie nicht. Ihre Sporttasche stand gepackt im Schlafraum,

Weitere Kostenlose Bücher