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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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seine Brust gedrückt. Ihr Haar kitzelte ihn an der Nase, aber er konnte gerade noch über sie hinwegspähen, so daß er das Indianermassaker beobachten konnte. Wo Herb Fowler seine Präservative doch schneller verteilte als Dr. Larch sie den Frauen in St. Cloud’s aushändigte – wie konnte Wally es soweit kommen lassen, daß sie schwanger wurde? Wally war so wohlbehütet Homer Wells konnte nicht verstehen, wieso Wally sich überhaupt für den Krieg interessierte. Ob eine Waise je wissen konnte, daß sie verwöhnt war und sich noch nicht bewähren mußte? Ob eine Waise jemals Langeweile oder Unruhe verspürte – oder waren dies luxuriöse Seelenzustände? Er erinnerte sich, daß Curly Day Langeweile empfunden hatte.
    »Schläfst du, Homer?« fragte ihn Debra Pettigrew.
    »Nein«, sagte er. »Ich habe nur gedacht …«
    »Was gedacht?« fragte Debra.
    »Wie kommt es, daß Wally und Candy es tun und wir nicht?« fragte Homer sie.
    Debra Pettigrew schien vor dieser Frage auf der Hut, oder zumindest war sie überrascht durch ihre Unverblümtheit; vorsichtig legte sie sich eine Antwort zurecht.
    »Nun«, begann sie diplomatisch. »Sie sind verliebt – Wally und Candy. Nicht wahr?«
    »Richtig«, sagte Homer Wells.
    »Nun, du hast nie gesagt, daß du verliebt bist – in mich«, fügte Debra hinzu. »Und ich habe nie gesagt, daß ich es bin – in dich.«
    »Das ist richtig«, sagte Homer. »Also ist es gegen die Spielregeln, es zu machen, wenn man nicht verliebt ist?«
    »Betrachte es einmal so«, sagte Debra Pettigrew; sie biß sich auf die Unterlippe. Es war absolut und genauso schwer, wie sie es sich immer vorgestellt hatte. »Falls du verliebt bist und es gibt ein Mißgeschick – wenn man schwanger wird, mein ich; wenn man dann verliebt ist, heiratet man. Wally und Candy sind verliebt, und wenn es bei ihnen ein Mißgeschick gibt, werden sie heiraten.«
    Vielleicht, dachte Homer Wells, vielleicht das nächste Mal. Was er aber sagte, war: »Ich verstehe.« Was er dachte, war: Das sind also die Spielregeln! Sie drehen sich um Unund um Zufälle, sie drehen sich ums Schwangerwerden und Kein-Baby-haben-Wollen. Mein Gott, dreht sich alles nur darum?
    Er erwog, den Gummi aus der Tasche zu holen und ihn Debra Pettigrew zu präsentieren. Wenn der Streit darum ging, daß eine zufällige Schwangerschaft wirklich der einzige Grund war, es nicht zu tun, was hielt sie dann ab von der Alternative, auf die Herb Fowler so unermüdlich verwies? Wenn er aber dieses Argument ins Treffen führte, deutete er damit nicht an, daß alle Zärtlichkeit grob abgetan werden könnte – oder an sich etwas Grobes sei? Oder war Zärtlichkeit nur für ihn etwas Grobes?
    In dem Film baumelten mehrere menschliche Skalps an einem Speer; aus für Homer Wells unverständlichen Gründen machten die Indianer ein Riesentheater um diesen Speer, als ob der Speer ein Schatz wäre. Plötzlich wurde einem Offizier der Kavallerie die Hand mit einem Pfeil an einen Baum genagelt; der Mann gab sich alle Mühe (unter Einsatz seiner Zähne und der anderen Hand), den Pfeil aus dem Baum zu lösen, aber der Pfeil steckte noch ganz auffällig in seiner Hand. Ein Indianer mit einem Tomahawk näherte sich dem Kavallerieoffizier; es hatte den Anschein, als wäre sein Ende gekommen, zumal er darauf beharrte, seine Pistole mit dem Daumen der Hand zu spannen, in der der Pfeil steckte.
    Warum benutzt er nicht seine heile Hand? fragte sich Homer Wells. Aber der Daumen funktionierte; die Pistole war – endlich – gespannt. Homer Wells folgerte aus diesem Experiment, daß der Pfeil sich durch die Hand habe bohren können, ohne den Ast des Medianusnervs zu verletzen, der zu den Muskeln des Daumens verläuft. Glückspilz, dachte Homer Wells, während der Kavallerieoffizier den herankommenden Indianer ins Herz schoß – es mußte das Herz sein, dachte Homer Wells, weil der Indianer sofort starb. Es war drollig, daß er die Bilder der Hand in Grays Anatomie deutlicher vor sich sah als den Film.
    Er brachte Debra nach Hause und entschuldigte sich dafür, daß er sie nicht bis vor ihre Haustür begleitete; einer der Hunde war los, er hatte seine Kette zerrissen und kratzte wie rasend am Fenster der Fahrerseite (das Homer eben noch rechtzeitig hinaufgekurbelt hatte). Er keuchte und geiferte und klapperte mit seinen Zähnen gegen die Scheibe, die so beschlagen und verschmiert wurde, daß Homer Schwierigkeiten hatte, etwas zu sehen, als er den Cadillac wendete.
    »Hör auf, Eddy!«

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