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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ausharren, dachte er. Die Geschichte konnte er umschreiben, aber gegen die Zeit vermochte er nichts; die Daten standen fest; die Zeit tickte in ihrem eigenen Takt. Selbst wenn er Homer Wells überzeugen konnte, eine richtige Medical School zu besuchen, würde es Zeit brauchen. Es würde Jahre brauchen, bis Fuzzy Stone seine Ausbildung abgeschlossen hatte. Ich muß ausharren, bis Fuzzy qualifiziert genug ist, mich abzulösen, dachte Wilbur Larch.
    Er wollte Mrs. Grogans Gebet noch einmal hören, und darum ging er früher als sonst zu seiner allabendlichen Jane-Eyre-Lesung in die Mädchenabteilung. Vom Flur aus belauschte er Mrs. Grogans Gebet; ich muß sie fragen, ob es ihr etwas ausmacht, es auch für die Knaben zu sprechen, dachte er, und dann fragte er sich, ob es für die Knaben nicht zu verwirrend wäre – so unmittelbar vor oder nach dem Segenswunsch an die Prinzen von Maine, die Könige Neuenglands. Ich selber bin manchmal verwirrt, wußte Dr. Larch.
    »Gewähre uns in deiner Güte ein Dach über dem Kopf und gesegnete Ruhe und endlich Frieden«, sagte Mrs. Grogan.
    Amen, dachte Wilbur Larch, der siebzigjährige äthersüchtige Heilige von St. Cloud’s, im Gefühl, schon einen weiten Weg hinter sich und noch einen weiten Weg vor sich zu haben. 
     
    Als Homer Wells den Fragebogen las, den ihm der Treuhänderausschuß von St. Cloud’s zugesandt hatte, wußte er nicht genau, was ihn so beunruhigte. Natürlich wurden Dr. Larch und die anderen älter, aber für ihn waren sie immer schon »älter« gewesen. Er fragte sich, was aus St. Cloud’s werden würde, wenn Dr. Larch einmal zu alt wäre, doch das war ein so beunruhigender Gedanke, daß er den Fragebogen und das Rückantwortkuvert an den Ausschuß in sein Exemplar der Praktischen Anatomie des Kaninchens steckte; außerdem war es der Tag, an dem die Wanderarbeiter eintrafen; es war Erntezeit in Ocean View, und Homer Wells hatte zu tun.
    Mrs. Worthington und er holten die Pflückermannschaft im Apfelmarkt ab und brachten sie in ihre Unterkunft im Ciderhaus – mehr als die Hälfte der Mannschaft hatte schon früher auf Ocean View gepflückt und kannte den Weg, und der Mannschaftsboss war, wie Mrs. Worthington sagte, »ein alter Hase«. Er kam Homer sehr jung vor. Es war das erste Jahr, daß Mrs. Worthington direkt mit der Pflückermannschaft und ihrem Boss zu tun hatte; die Anwerbung – per Post – war in Senior Worthingtons Verantwortungsbereich gefallen, und Senior hatte immer versprochen, daß, wenn man Jahr für Jahr einen guten Mannschaftsboss hatte, das Geschäft der Anwerbung – und die notwendige Leitung der Mannschaft während der Ernte – von dem Boss übernommen wurde.
    Sein Name war Arthur Rose, und er wirkte so alt wie Wally – kaum älter als Homer –, auch wenn er älter sein mußte; seit fünf oder sechs Jahren war er der Boss der Mannschaft. Eines Tages hatte Senior Worthington dem alten Mann geschrieben, der, solange Olive denken konnte, sein Mannschaftsboss gewesen war, und Arthur Rose hatte Senior zurückgeschrieben und gesagt, daß jetzt er der Mannschaftsboss sein würde – »der alte Boss«, so hatte Arthur Rose geschrieben, »ist todmüde vom Reisen«. Der alte Boss war, wie sich herausstellte, schlicht tot, aber Arthur Rose hatte gute Arbeit geleistet. Er brachte die richtige Zahl von Pflückern, und sehr wenige von ihnen kündigten oder liefen weg oder waren mehr als ein paar Tage zu betrunken, um zu arbeiten. Anscheinend wachte eine feste Hand darüber, daß die Streitereien nicht überbordeten, egal, ob Frauen dabei waren oder nicht –, und selbst wenn einmal ein Kind dabei war, wußte es sich zu benehmen. Es gab immer Pflücker, die von Leitern fielen, aber ernste Verletzungen gab es keine. Es gab immer kleine Unfälle beim Ciderhaus – aber dann handelte es sich um Arbeiten, die unter Zeitdruck und nachts anfielen, wenn die Männer müde waren oder schon ein wenig getrunken hatten. Und sehr selten kam es auch zu Unfällen bei den fast rituellen Gelagen auf dem Ciderhausdach, weil jemand sich ungeschickt anstellte oder betrunken war.
    Seit sie die Farm leitete, hegte Olive Worthington eine leidenschaftliche Vorliebe für die Tagesstunden und tiefen Argwohn gegen die Nacht; nach Olives Meinung gerieten die Leute vor allem dann in Schwierigkeiten, wenn sie zu lange aufblieben.
    Olive hatte Arthur Rose von Seniors Tod geschrieben und ihm gesagt, daß die Verantwortung für die Pflückmannschaften von Ocean View nun auf sie

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