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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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auf der York-Farm auch zwei Frauen und ein Kind; Melony fühlte sich sicher im Ciderhaus. Die eine Frau war eine Ehefrau, und die zweite war die Mutter der ersten und gleichzeitig die Köchin; die Ehefrau pflückte mit der Mannschaft zusammen, und die alte Dame kümmerte sich um das Essen und das Kind – das so still war, als wäre es gar nicht da. Die einzige Dusche stand draußen im Freien – hinter dem Ciderhaus, auf einer Plattform aus Portland-Zementblöcken installiert, unter einer ehemaligen Weinlaube, deren Gitterwerk durch die Witterung verrostet war. Die Frauen duschten jeden Abend zuerst, und Gucken war verboten. Der Mannschaftsboss der York-Farm war ein sanfter Mann, der mit seiner Frau gekommen war und nichts dagegen hatte, daß Melony das Ciderhaus mit ihnen teilte.
    Sein Name war Rather; es war ein Spitzname, und er stammte daher, daß der Mann bei allem und jedem, was er tat, erwähnte, daß er »rather« – lieber – etwas anderes tun würde. Seine Autorität war offenbar weniger gesichert oder zumindest weniger elektrisierend als die von Mr. Rose; niemand nannte ihn Mister Rather. Er war ein gleichmäßiger, aber nicht außerordentlich schneller Pflücker, und dennoch erzielte er stets über hundert Bushel pro Tag; Melony brauchte nur einen Tag, um zu beobachten, daß seine Pflückerkollegen eine Provision an Rather entrichteten. Sie gaben ihm jedes zwanzigste Bushel, das sie pflückten.
    »Immerhin«, erklärte Rather Melony, »habe ich ihnen die Arbeit verschafft.« Er sagte immer wieder, daß er unter den waltenden Umständen »lieber eine kleine Provision einsteckte« – aber niemals gab Rather zu verstehen, daß Melony ihm etwas schulde. »Immerhin habe ich dir nicht deine Arbeit verschafft«, sagte er fröhlich zu ihr.
    Bereits an ihrem dritten Arbeitstag schaffte sie achtzig Bushel; sie half auch als Flaschenabfüllerin beim ersten Pressen des Ciders. Dennoch war Melony enttäuscht; sie hatte Zeit gefunden zu fragen, ob jemand von Ocean View gehört habe, doch das hatte niemand.
    Vielleicht, weil er die Dinge nicht mit demselben Zynismus betrachtete wie Melony, brauchte Homer Wells etliche Tage, um zu beobachten, welche Provision Mr. Rose von seiner Mannschaft einstrich. Er war der schnellste Pflücker von allen, ohne daß er jemals in Eile zu sein schien – und nie ließ er eine Frucht fallen; nie stieß sein leinener Pflükkerbeutel an die Sprossen der Leiter, und somit hatten seine Äpfel auch nie Druckstellen. Mr. Rose hätte allein hundertzehn Bushel pro Tag geschafft – aber auch bei diesem Tempo erkannte Homer, daß seine regelmäßigen hundertfünfzig oder hundertsechzig Bushel pro Tag sehr viel waren. Er nahm nur jedes vierzigste gepflückte Bushel als Provision für sich selbst, doch er hatte eine Mannschaft von fünfzehn, und keiner pflückte weniger als achtzig Bushel pro Tag. Mr. Rose hielt es so, daß er schnell ein Halbdutzend Bushel pflückte, dann eine Weile rastete oder die Pflücktechniken seiner Mannschaft überwachte.
    »Etwas langsamer, George«, mahnte er dann. »Wenn du Druckstellen auf diese Früchte machst, wofür sind sie dann noch gut?«
    »Nur für Cider«, antwortete George.
    »Das ist richtig«, sagte Mr. Rose. »Cideräpfel bringen nur einen Nickel pro Bushel.«
    »In Ordnung«, gab George zurück.
    »Klar«, sagte Mr. Rose, »geht alles in Ordnung.«
    Am dritten Tag regnete es, und niemand pflückte; Äpfel und Pflücker rutschten beide im Regen, und die Früchte sind anfälliger für Druckstellen.
    Homer schaute Meany Hyde und Mr. Rose beim ersten Pressen des Ciders zu, das sie von weit genug weg beaufsichtigten, um keine Spritzer abzubekommen. Sie stellten zwei Männer an die Presse und zwei zum Flaschenabfüllen, die sich fast jede Stunde abwechselten. Meany achtete nur auf eines: ob die Körbe schief gestapelt waren oder ob sie gerade standen. Wenn die Preßbretter schief gestapelt sind, ist die ganze Pressung futsch – das heißt, drei Bushel Äpfel werden zu einem unansehnlichen Brei, acht oder zehn Gallonen Cider sind verloren, und der Trester spritzt in alle Richtungen. Die Männer an der Presse trugen Gummischürzen; die Flaschenabfüller trugen Gummistiefel. Das Wimmern des Quetschwerks erinnerte Homer Wells an die Geräusche, die er sich nur in St. Cloud’s vorstellen konnte – die Sägemühlen, ohrenbetäubend kreischend in seinen Träumen und in seiner Schlaflosigkeit. Die Pumpe saugte, der Spund erbrach eine Masse aus Samenkernen und

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