Gottes Werk und Teufels Beitrag
aufforderte, zum Ciderhaus zu kommen, um das »wahre Gefühl dafür zu kriegen«. Homer nahm ein stummes Abendbrot mit Mrs. Worthington ein, und erst nachdem er ihr beim Geschirrwaschen geholfen hatte, sagte er, daß er wohl zum Ciderhaus gehen und sehen wolle, ob er beim Pressen helfen könne; er wisse doch, daß sie seit zwei oder drei Stunden tüchtig an der Arbeit waren.
»Was bist du für ein guter Arbeiter, Homer!« lobte ihn Olive anerkennend.
Homer Wells zuckte die Schultern. Es war eine kalte, klare Nacht, das allerbeste Wetter für die Macintosh-Äpfel – warme sonnige Tage und kalte Nächte. Es war nicht so kalt, daß Homer die Äpfel nicht mehr gerochen hätte, als er zum Ciderhaus schlenderte. Und es war nicht so dunkel, daß er auf der Schotterstraße hätte bleiben müssen. Er konnte querfeldein gehen. Weil er nicht auf der Straße ging, konnte er sich unbemerkt dem Ciderhaus nähern.
Eine Weile stand er außerhalb des Kreises der Lichter, die im Preßraum strahlten, und lauschte auf die Geräusche der Männer, die an der Presse arbeiteten und redeten und lachten – und dem Gemurmel der Männer, die auf dem Dach des Ciderhauses redeten und lachten. Homer Wells lauschte lange, aber er merkte, daß er die Männer, wenn sie sich nicht bemühten, von einem Weißen verstanden zu werden, überhaupt nicht verstand – nicht einmal Mr. Rose, dessen klare Stimme die anderen Stimmen mit ruhigen, aber nachdrücklichen Zwischenbemerkungen zu interpunktieren schien.
Auch auf der York-Farm preßten sie Cider an diesem Abend, aber Melony hatte kein Interesse; sie versuchte nicht zu verstehen – weder den Vorgang noch die Sprache. Rather, der Mannschaftsboss, hatte ihr deutlich gesagt, daß die Männer es ihr verübelten, wenn sie an der Presse oder auch nur beim Flaschenabfüllen mittat; es kürzte ihren zusätzlichen Lohn. Ohnehin war Melony müde vom Pflükken. Sie lag auf ihrem Bett im Schlafraum des Ciderhauses und las Jane Eyre; ein Mann schlief am anderen Ende des Schlafraums, aber Melonys Leselicht störte ihn nicht – er hatte zuviel Bier getrunken, das einzige, was Rather den Männern zu trinken erlaubte. Das Bier wurde im Kühllagerraum aufbewahrt, gleich neben der Presse, und die Männer tranken und redeten miteinander, während sie die Presse laufen ließen.
Die freundliche Frau namens Sandra, Rathers Ehefrau, saß auf einem Bett nicht weit von Melony und versuchte einen Reißverschluß an der Hose eines der Männer zu reparieren. Der Name des Mannes war Sammy, und er besaß nur eine Hose; immer wieder marschierte er aus dem Preßraum herein, um zu sehen, wie Sandra mit der Arbeit vorankam; eine übergroße, ballonweite Unterhose hing ihm beinah bis auf die knotigen Knie herab, und seine Waden sahen aus wie zähe kleine Weinranken.
Sandras Mutter, die alle Ma nannten und die einfache, aber reichliche Mahlzeiten für die Mannschaft kochte, lag wie ein Sack auf dem Bett neben Sandra, unter einem Berg von Decken – sie fror ständig, aber das war das einzige, worüber sie klagte.
Sammy kam mit einem Bier in den Schlafraum, und mit ihm wehte der Apfeltrestergeruch des Preßraums herein; die Spritzer der Presse sprenkelten seine nackten Beine.
»Bei den Beinen ist es kein Wunder, daß du deine Hose zurückhaben möchtest«, sagte Sandra.
»Wie stehen meine Chancen?« fragte Sammy.
»Erstens, dein Reißverschluß klemmt. Zweitens hast du ihn ausgerissen«, sagte Sandra.
»Was hattest du es so eilig mit deinem Reißverschluß?« fragte Ma, ohne sich unter ihrem Deckenberg zu regen.
»Mist«, sagte Sammy. Er ging zurück an die Presse. Immer wieder verhakte sich das Quetschwerk an irgend etwas – an einem dicken Stengel oder einer Stauung von Kernen – und es machte ein Geräusch wie eine Kreissäge, die an einem Ast würgt. Wenn das passierte, pflegte Ma zu sagen: »Das war die Hand von jemand.« Oder: »Das war der ganze Kopf von jemand. Zuviel Bier getrunken und reingefallen.«
Trotz allem gelang es Melony, zu lesen. Sie war nicht ungesellig, wie sie meinte. Die beiden Frauen waren freundlich zu ihr, nachdem sie erkannt hatten, daß sie es nicht auf einen der Männer abgesehen hatte. Die Männer hatten Achtung vor ihrer Arbeit und vor dem Stempel, den ihr der abwesende Freund aufdrückte. Sie hänselten sie zwar, aber sie meinten es nicht böse. Einen der Männer hatte sie mit Erfolg angelogen, und die Lüge hatte wie beabsichtigt die Runde gemacht. Der Mann hieß Wednesday – keiner hatte
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