Gottes Werk und Teufels Beitrag
Melony gesagt, warum, und es hatte sie auch nicht interessiert. Wednesday hatte ihr zu viele Fragen über dieses Ocean View gestellt, das sie suchte, und über den Freund, den sie finden wollte.
Sie hatte ihre Leiter in einem schwerbeladenen Baum verhakt und wollte sie lösen, ohne Äpfel zu Boden zu schütteln; Wednesday half ihr, als Melony sagte: »Ganz schön eng, die Hose, die ich da trage, findest du nicht?«
Wednesday sah sie an und sagte: »Ja, finde ich.«
»Man sieht alles in den Taschen, richtig?« fragte Melony.
Wednesday sah abermals hin und sah die merkwürdige Sichelform der halb offenen horngeränderten Haarspange; straff und hart gegen den abgewetzten Kattun gedrückt, grub sie sich in Melonys Schenkel. Es war die Haarspange, die Mary Agnes Candy gestohlen und die Melony ihr ihrerseits gestohlen hatte. Eines Tages, so stellte sie sich vor, würde ihr Haar lang genug sein, daß die Haarspange ihr nützen könnte. Bis dahin trug sie sie wie ein Taschenmesser in ihrer rechten hinteren Tasche.
»Was ist das?« fragte Wednesday.
»Das ist ein Penismesser«, sagte Melony.
»Was für ein Messer?« fragte Wednesday.
»Du hast mich richtig verstanden«, sagte Melony. »Es ist ganz klein, und es ist ganz scharf – es taugt nur für eines.«
»Und zwar für was?« fragte Wednesday.
»Es schneidet die Spitze eines Penis ab«, sagte Melony. »Ganz schnell, ganz leicht – nur die Spitze.«
Wäre die Pflückermannschaft auf der York-Farm eine messertragende Mannschaft gewesen, dann hätte jemand Melony bitten können, das Penismesser vorzuzeigen – nur als Gegenstand allgemeiner Bewunderung unter messertragenden Freunden. Aber niemand fragte; die Geschichte schien anzukommen. Im Verbund mit den anderen Legenden, die Melony umgaben, festigte sie die allgemeine Befürchtung bei den Arbeitern auf der York-Farm: daß mit Melony nicht zu spaßen war.
Bei Melony benahmen sich sogar die Biertrinker. Der einzige Nachteil des Biertrinkens auf der York-Farm während des Ciderpressens war das häufige Urinieren, was Melony nur beanstandete, wenn sie zu nah beim Ciderhaus pinkelten.
»He, das möchte ich nicht hören«, pflegte sie aus dem Fenster zu brüllen, wenn sie jemand pissen hörte. »Das möchte ich auch nicht riechen! Verschwinde vom Haus. Was ist los – hast du Angst vor der Dunkelheit?«
Sandra und Ma liebten Melony dafür, und sie mochten den Refrain; wann immer sie jemand pinkeln hörten, brüllten sie wie aus einem Mund: »Was ist los? Hast du Angst vor der Dunkelheit?«
Aber obwohl alle Melonys Härte duldeten oder sie deshalb sogar schätzten, mochte niemand, wenn sie nachts las. Sie war die einzige, die las, und es dauerte eine Weile, bis sie merkte, wie unfreundlich die anderen das Lesen fanden und wie beleidigt sie jedesmal waren.
Als sie in dieser Nacht mit dem Pressen fertig waren und alle auf ihren Betten lagen, fragte Melony, wie üblich, ob ihr Leselicht jemanden störe.
»Das Licht stört niemand«, sagte Wednesday.
Es gab zustimmendes Gemurmel, und Rather sagte: »Erinnert ihr euch an Cameron?« Es gab Gelächter, und Rather erklärte Melony, daß Cameron, der jahrelang auf der York-Farm gearbeitet habe, ein solches Baby gewesen sei, daß er die ganze Nacht ein Licht brennen lassen mußte, nur um schlafen zu können.
»Er dachte, Tiere würden ihn auffressen, wenn er das Licht ausmachte!« sagte Sammy.
»Was für Tiere?« fragte Melony.
»Cameron wußte es nicht«, erklärte jemand.
Melony las weiter Jane Eyre, und nach einer Weile sagte Sandra: »Es ist nicht das Licht, das uns stört, Melony.«
»Jaaa«, sagte jemand. Melony begriff eine Weile nicht, aber allmählich merkte sie, daß alle auf ihren Betten sich zu ihr herumgedreht hatten und mürrisch zu ihr herüberschauten.
»In Ordnung«, sagte sie, »was stört euch?«
»Was liest du da überhaupt?« fragte Wednesday.
»Jaaa«, sagte Sammy. »Was ist Besonderes an diesem Buch?«
»Na, es ist ein Buch«, sagte Melony.
»Toll, daß du’s lesen kannst, he?« fragte Wednesday.
»Was?« sagte Melony.
»Vielleicht, wenn es dir so sehr gefällt«, sagte Rather, »könnte es auch uns gefallen.«
»Wollt ihr, daß ich euch vorlese?« fragte Melony.
»Jemand hat mir mal vorgelesen«, sagte Sandra.
»Ich war es nicht«, sagte Ma. »Auch dein Vater war es nicht.«
»Ich hab nicht behauptet, daß er’s war«, sagte Sandra.
»Ich habe nie jemanden vorlesen hören«, sagte Sammy.
»Jaaa«, sagte ein anderer.
Melony
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