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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Wally war – auch was ausgerechnet Kaninchen betraf –, und sie wußte, daß er ein zuverlässiger und freundlicher Kamerad war. Trotzdem kochte Olive innerlich. Sie empfand einen für Eltern typischen Widerspruch: völlig auf Seiten ihres Sohnes – sie wollte ihn sogar warnen und für ihn Partei ergreifen –, fand sie gleichzeitig, daß Wally eine Lektion vertragen konnte. Nur womöglich nicht diese Lektion, dachte Olive.
    »Nun, Gott sei Dank sind es drei gute Menschen!« sagte sie laut, und ihre eigene Stimme in dem leeren Haus überraschte sie und weckte sie gänzlich auf. Eine heiße Schokolade wird mich beruhigen, dachte sie; und wenn Homer nach Hause kommt, kann er mit mir eine trinken.
    In der Küche erschrak Olive beim Anblick des Gummifloßes im Swimmingpool, das der Nebel, von wolkigem Mondlicht durchdrungen, ganz geisterhaft erscheinen ließ. Das Floß hing am Beckenrand in der Schwebe, halb im Wasser und halb draußen, und wirkte wie eine sehr graue und schattige Photographie seiner selbst. Das Bild beunruhigte sie, und Olive beschloß, daß sie genug hatte von diesem Floß. Sie zog ein Paar Stiefel an und über ihr Nachthemd einen langen Wintermantel. Es ärgerte sie, daß das Licht draußen auf der Terrasse nicht funktionierte; nur die Unterwasserbeleuchtung ging an, und sie sah überrascht, daß das Wasser im Becken endlich gefroren war. Deshalb hing das Gummifloß so erstarrt in der Luft, gefangen wie eine Statue oder ein im Treibeis steckengebliebenes Schiff. Sie hielt sich vorsichtig am Beckenrand fest und hackte mit dem Absatz auf das Eis, doch als sie am Floß zerrte, kam es nicht frei. Wenn ich weiter hinausgehe, werde ich einbrechen, dachte sie.
    Da kam Homer nach Hause. Sie hörte den Lieferwagen in der Einfahrt und rief ihn.
    »Was soll damit geschehen?« erkundigte sich Homer Wells.
    »Hol es erst mal nur heraus«, sagte Olive.
    »Und dann?« fragte er.
    »Wirf es weg«, sagte sie. »Inzwischen mach ich dir eine heiße Schokolade.«
    Homer hatte einige Mühe mit dem Floß. Das Eis, das sein volles Gewicht nicht getragen hätte, war stark genug, um das Floß fest im Griff zu halten. Geschickt ließ er sich auf das Floß hinunter und vertraute darauf, daß es noch genug Luft enthielt, um nicht zu sinken, wenn das Eis darum herum es nicht mehr hielt. Er schaukelte auf den Knien das Floß hin und her, bis er das Eis brechen fühlte. Dann schaukelte er sich weiter eine Bahn durch das Eis, kletterte auf den Beckenrand und zog das Floß hinter sich heraus. Überall hing noch Eis; es war so schwer, daß er es hinter sich herschleifen mußte. Bei den Mülltonnen mußte er die Luft aus dem Floß lassen, um es in eine der Tonnen zu stopfen. Das Ventil war festgerostet, und Homer trampelte vergeblich mit beiden Füßen darauf herum, um die zähe Leinwandhaut platzen zu lassen.
    Er ging in den Gartenschuppen und fand eine Heckenschere; mit der dünneren Klinge stach er einen klaffenden Riß in das Floß und schnippelte drauflos; schale Gummiluft schlug ihm ins Gesicht. Sie war feucht und stank, und als er das Loch weiter aufriß, wehte ihn in der kühlen Nachtluft ein sonderbar warmer und fauliger Geruch an. Es war nicht nur der Geruch von alten, im Regen stehengelassenen Turnschuhen, sondern auch etwas Verwesendes. Unwillkürlich schaute er den aufgeschlitzten Gegenstand an, wie er vielleicht aufgeschnittene Eingeweide angeschaut hätte. Er stopfte das Floß in eine Mülltonne, doch als er zu seiner wohlverdienten heißen Schokolade ins Haus ging, blieb der Geruch noch an seinen Händen, auch nachdem er sie gewaschen hatte. Er vergrub die Nase in seine hohle Hand; der Geruch war noch da. Dann erkannte er ihn wieder: es war derselbe Geruch, der an seinen Händen haftengeblieben war, nachdem er die Gummihandschuhe ausgezogen hatte.
    »Wie geht’s Candy?« fragte Olive.
    »Gut«, sagte Homer Wells.
    Sie schlürften ihre heiße Schokolade – wie Mutter und Sohn, dachten sie beide; und gleichzeitig nicht wie Mutter und Sohn, dachten sie beide.
    »Und wie geht’s dir?« fragte Olive nach einer Weile.
    »Ganz gut«, sagte Homer Wells und dachte aber: Kommt Zeit, kommt Rat.
    Wilbur Larch inhalierte gerade seinen Äther und sah die Sterne über die Decke der Apotheke sausen und dachte daran, was für ein Privileg es war, abwarten und Tee trinken zu können. Auch wenn ich durchhalte, können sie mich erwischen; ein Abtreiber glaubt an die Wahrscheinlichkeitsrechnung. Er war schon zu lange im Geschäft. Wie

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