Gottes Werk und Teufels Beitrag
dem Haus standen oder auf dem Dach saßen. Dies war wohl die Zeit ihrer Zusammenkünfte, und Mr. Rose hatte wohl diese Treffen ebenso willkürlich arrangiert, wie er anscheinend alles andere kommandierte.
Gegen Ende dieses Sommers durfte die Küste nicht mehr beleuchtet sein; es gab kein Riesenrad in der Nacht zu beobachten, keine magischen Lichter, die man mit anderen Namen benennen konnte, doch diese Verdunkelungsvorschriften hielten die Pflücker nicht vom Dach fern. Sie pflegten im Dunkeln zu sitzen und in das Dunkel zu starren, und Mr. Rose pflegte zu sagen: »Dort drüben war es – es war viel höher als dieses Dach und heller als alle Sterne, hätte man alle Sterne zusammengebunden. Es drehte sich immer im Kreis«, pflegte Mr. Rose zu sagen, die große, massige Frau an ihn gelehnt, die dunklen Köpfe über dem Dachfirst nickend. »Jetzt sind Sachen dort draußen unter dem Ozean – Sachen mit Bomben, Unterwasserkanonen. Diese Sachen wissen, wenn ein Licht an ist, und die Bomben werden angezogen von den Lichtern – wie Metall von den Magneten. Es passiert automatisch.«
»Da sind keine Leute mit der Hand am Abzug?« fragte jemand.
»Da ist kein Abzug«, sagte Mr. Rose. »Alles automatisch. Aber da sind Leute. Sind nur da, um die Sachen instand zu halten und dafür zu sorgen, daß sie richtig funktionieren.«
»Da sind Leute, da draußen unter dem Ozean?« fragte jemand.
»Klar«, sagte Mr. Rose. »Jede Menge Leute. Wirklich schlau. Haben diese Sachen, so daß sie euch sehen können.«
»An Land?«
»Klar«, sagte Mr. Rose. »Sie sehen euch überall.«
Eine Art gemeinschaftlichen Seufzers ließ jene, die auf dem Dach saßen, aussehen wie ein Chor, der zwischen den Stücken pausiert. Homer in Wallys Zimmer wunderte sich, wie die Welt gleichzeitig erfunden und zerstört wurde.
Da ist nichts Verwunderliches dran, hätte Dr. Larch ihm versichert. In St. Cloud’s wurde, abgesehen von dem Ärger mit den Zuckermarken und anderen Aspekten der Rationierung, sehr wenig durch den Krieg verändert. (Oder durch das, was andere Leute einmal die Depression genannt hatten, dachte Wilbur Larch.)
Wir sind ein Waisenhaus; wir leisten diesen Dienst; wir bleiben dieselben – wenn man uns dieselben bleiben läßt, dachte er. Wenn er beinah verzweifelte, wenn der Äther allzu überwältigend wurde, wenn sein Alter ihm als das letzte Hindernis erschien und die Anfälligkeit seines illegalen Treibens ihm so deutlich sichtbar wurde wie die Silhouetten der Fichten vor den harten Nachthimmeln im Herbst, pflegte Wilbur Larch sich in diesen einen Gedanken zu retten: Ich liebe Homer Wells, und ich habe ihn vor dem Krieg gerettet.
Homer Wells fühlte sich nicht gerettet. Hat denn jemals jemand, der liebte und unzufrieden war damit, wie er wiedergeliebt wurde, sich gerettet gefühlt? Im Gegenteil, Homer Wells fühlte, daß er für besondere Qualen ausersehen war. Welcher junge Mann – und sei er gar eine Waise – hat die Geduld, einfach abzuwarten, wenn er liebt? Und wenn Wilbur Larch Homer Wells schon vor dem Krieg gerettet hatte, so hatte Dr. Larch doch keine Macht, um gegen Melony vorzugehen.
Während der Ernte in diesem Jahr zog Wally abermals um – nach Perrin Field in Sherman, Texas (Grundausbildung, Kompanie D) –, Melony dagegen zog fünfmal um. Sie hatte genug Geld; sie brauchte nicht zu arbeiten. Sie nahm Arbeit in einem Obstgarten nach dem anderen und ging fort, sobald sie herausgefunden hatte, daß niemand, der dort arbeitete, jemals von einem Ocean View gehört hatte. Sie arbeitete in einem Obstgarten in Harpswell und in einem anderen in Arrowsic. Sie arbeitete so hoch im Norden wie Rockfort und so tief im Hinterland wie Appleton und Lisbon. Sie machte einen Abstecher nach Wiscasset, weil jemand ihr erzählt hatte, daß es dort ein Ocean View gebe; das gab es, aber es war eine Fremdenpension. Ein Eiskremverkäufer erzählte ihr, er habe in Friendship ein Ocean View gesehen; es war, wie sich zeigte, der Name eines dort beheimateten Segelboots. Melony geriet in einen Faustkampf mit einem Oberkellner in einem Lokal für Meeresfrüchte in South Thomaston, weil sie darauf beharrt hatte, jeden der Gäste nach Ocean View zu befragen; sie gewann den Kampf, aber sie bekam eine Buße wegen Störung der Ordnung; sie war etwas knapp bei Kasse, als sie Anfang November durch Boothbay Harbor kam. Das Meer war schiefergrau, mit weißen Kronen, die hübschen Boote des Sommers waren auf dem Trockendock, der Wind trug viel
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