Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
Worthington saß aufrecht in ihrem Bett und lauschte, wie sie meinte, einer Eule auf dem Cock Hill. Warum heult sie nur? dachte sie.
    Sie dachte an alles, was sie ablenken konnte von ihrer Vision der Moskitos im Dschungel von Birma.
    Mrs. Grogan lag hellwach, zeitweilig in Angst um ihre Seele; die gute Frau hatte absolut nichts zu befürchten. Es war eine Eule, die sie hörte – sie gab traurige Töne von sich.
    Wilbur Larch, der immer hellwach zu sein schien, ließ seine geschickten, achtsamen Finger über die Tasten der Schreibmaschine in Schwester Angelas Büro huschen. »Bitte, bitte, Mister President«, schrieb er.
    Klein Steerforth, der an Allergien gegen Staub und Schimmel litt, fand die Nacht bedrückend; es schien ihm, als könne er nicht atmen. Er war zu faul, aus dem Bett zu steigen, und darum schneuzte er seine Nase an seinem Kopfkissen. Beim Getön einer so mächtigen und gequälten Trompete eilte Schwester Edna zu ihm. Auch wenn Steerforths Allergien nicht schwer waren, war seit Fuzzy Stone keine Waise mehr allergisch gewesen gegen Staub und Moder.
    »Sie haben bereits so viel Gutes getan«, schrieb Wilbur Larch an Franklin D. Roosevelt. »Und Ihre Stimme im Radio schenkt mir Hoffnung. Als Angehöriger des ärztlichen Berufsstandes weiß ich wohl, welch heimtückische Krankheit Sie selbst so bravourös besiegten. Nach Ihnen wird jeder, der Ihr Amt bekleidet, sich schämen, wenn er es versäumt, den Armen und den Vernachlässigten zu dienen – oder müßte sich schämen …«
    Ray Kendall lag hingestreckt auf seinem Dock, als hätte das Meer ihn dorthin geworfen; er konnte sich nicht dazu aufraffen, aufzustehen und hinein- und ins Bett zu gehen. Nur selten war die Küstenluft so träge; die Luft war einfach Luft-wie-immer in St. Cloud’s.
    »Ich habe ein Bild gesehen von Ihnen und Ihrer Frau – Sie besuchten einen Gottesdienst. Ich glaube, es war ein episkopalischer«, schrieb Wilbur Larch an den Präsidenten. »Ich weiß nicht, was man Ihnen in dieser Kirche über die Abtreibung erzählt, aber da gibt es etwas, das Sie wissen sollten. Fünfunddreißig bis fünfundvierzig Prozent des Bevölkerungswachstums unseres Landes lassen sich zurückführen auf ungeplante, unerwünschte Geburten. Ehepaare, die wohlhabend sind, wünschen sich in der Regel ihre Babys. Nur siebzehn Prozent der wohlhabenden Eltern geborenen Babys sind unerwünscht, doch was ist mit den armen? Zweiundvierzig Prozent der Babys, die in Armut lebenden Eltern geboren werden, sind unerwünscht. Mister President, das ist beinah die Hälfte. Und wir leben nicht mehr zu Zeiten eines Ben Franklin, der (wie Sie wahrscheinlich wissen) so erpicht darauf war, die Bevölkerung zu vermehren. Das Ziel Ihrer Regierung ist Beschäftigung der bereits vorhandenen Bevölkerung, damit es ihr besser geht. Jene, die sich für das Leben der Ungeborenen einsetzen, sollten einmal über das Leben der Lebenden nachdenken. Mister Roosevelt – ausgerechnet Sie! –, Sie sollten wissen, daß die Ungeborenen nicht so bedauernswert und Ihrer Hilfe so bedürftig sind wie die Geborenen! Bitte, erbarmen Sie sich der Geborenen!«
    Olive Worthington warf und wälzte sich herum. Oh, erbarme dich meines Sohnes! betete sie immer wieder.
    Auf mittlerer Höhe in einem Apfelbaum in dem Obstgarten namens Frying-Pan – wachsam hingekauert in die Gabelung zwischen den dicksten Ästen des Baumes – überblickte ein Rotfuchs, Ohren und Nase witternd, sein Schwanz leicht wie eine Feder schwebend, mit Raubtieraugen den Obstgarten. Für den Fuchs wimmelte der Boden dort unten von Nagern, auch wenn der Fuchs nicht wegen dieses Anblicks auf den Baum geklettert war – er war den Baum hinaufgesprungen, um einen Vogel zu fressen, von dem eine Feder sich durch die Schnurrhaare des Fuchses schob und in den rostfarbenen Ziegenbart am spitzen Kinn des grausamen Tierchens.
    Candy Kendall klammerte sich an Homer Wells – oh, wie sie sich anklammerte! –, als der Atem aus ihnen herausfuhr und die ansonsten reglose Luft bewegte. Und die zitternden Mäuse unter dem Fußboden des Ciderhauses blieben zwischen den Wänden des Ciderhauses wie versteinert sitzen, um den Liebenden zu lauschen. Die Mäuse wußten, daß es eine Eule zu fürchten gab und den Fuchs. Aber welches Tier war das, dessen Schall sie versteinerte? Die Eule heult nicht, wenn sie jagt, und der Fuchs bellt nicht, wenn er stößt. Was aber ist das für ein neues Tier? fragten sich die Ciderhausmäuse – welches neue Tier ist

Weitere Kostenlose Bücher