Gottes Werk und Teufels Beitrag
sagte Homer Wells. Das war der Moment, als sie beide Licht in Wallys Zimmer angehen sahen.
Diese Nacht im August waren die Bäume voll, die Zweige bogen sich schwer unter ihrer Last, und die Äpfel – alle bis auf die leuchtenden, wachsgrünen Gravensteiner – waren von einem blassen, ins Rosa schimmernden Grün. Das Gras in den Reihen zwischen den Bäumen war kniehoch; noch eine Mahd würde es geben vor der Ernte.
Diese Nacht heulte eine Eule aus dem Obstgarten namens Cock Hill; im Obstgarten namens Frying-Pan hörten Candy und Homer auch einen Fuchs bellen.
»Füchse können auf Bäume klettern«, sagte Homer Wells.
»Nein, können sie nicht«, sagte Candy.
»Auf Apfelbäume jedenfalls«, sagte Homer. »Wally hat’s mir erzählt.«
»Er lebt«, flüsterte Candy.
Im Wetterleuchten sah Homer Tränen in ihrem Gesicht funkeln; es war naß und salzig, als er sie küßte. Es war ein zitterndes, linkisches Unterfangen – sich auf dem Dach des Ciderhauses zu küssen.
»Ich liebe dich«, sagte Homer Wells.
»Ich liebe dich ebenfalls«, sagte Candy. »Aber er lebt.«
»Er lebt nicht«, sagte Homer.
»Ich liebe ihn«, sagte Candy.
»Ich weiß, daß du es tust«, sagte Homer Wells. »Ich liebe ihn ebenfalls.«
Candy neigte sich seitwärts und legte ihren Kopf gegen Homers Brust, so daß er sie nicht küssen konnte; er hielt sie mit einem Arm, während seine andere Hand sich an ihre Brust verirrte, wo sie blieb.
»Es ist so schwer«, flüsterte sie, aber sie ließ seine Hand, wo sie war. Da waren jenes ferne Wetterleuchten, draußen über dem Meer, und eine warme Brise, so schwach, daß sie kaum die Apfelblätter regte und schon gar nicht Candys Haar.
Olive verfolgte in Wallys Zimmer den Moskito von einem Lampenschirm (vor dem sie ihn nicht erschlagen konnte) zu einer Stelle an der weißen Wand über Homers Bett. Als sie den Moskito mit ihrem Handballen zerquetschte, wunderte sie sich über den nickelgroßen Blutfleck, der an der Wand zurückblieb – das lausige kleine Geschöpf hatte sich vollgesogen. Olive befeuchtete ihren Zeigefinger und betupfte den Blutfleck, was die Schweinerei nur schlimmer machte. Wütend stand sie von Homers Bett auf und glättete unnötigerweise sein unberührtes Kopfkissen; sie glättete auch Wallys unberührtes Kopfkissen; dann knipste sie die Nachttischlampe aus. Sie blieb in der Tür des leeren Zimmers stehen, ließ einen prüfenden Blick über alles gleiten und knipste dann das Deckenlicht aus.
Homer Wells hielt Candy fest um die Hüften, als er ihr vom Dach herunterhalf. Sie mußten gewußt haben, daß es riskant war, sich auf dem Dach des Ciderhauses zu küssen; es war noch gefährlicher für sie am Boden. Sie standen beisammen, einer die Arme locker um die Taille des anderen geschlungen – sein Kinn berührte ihre Stirn (sie schüttelte den Kopf: nein, nein, aber nur ein bißchen) –, als sie beide merkten, daß das Licht in Wallys Zimmer aus war. Sie lehnten sich aneinander, während sie zum Ciderhaus gingen, und das hohe Gras griff gierig nach ihren Beinen.
Sie achteten vorsichtig darauf, daß die Fliegengittertür nicht schepperte. Wer hätte es hören können? Sie waren lieber im Dunkeln; weil sie nicht nach dem Lichtschalter in der Küche tasteten, kamen sie auch nicht mit den Spielregeln im Ciderhaus in Berührung, die daneben angeheftet waren. Nur schwaches Wetterleuchten zeigte ihnen den Weg zu den Schlafquartieren, wo die Doppelreihen der Eisenbetten mit ihren nackten, spitzen Sprungfedern standen – die alten Matratzen wie in einer Kaserne zusammengerollt am Fußende eines jeden Bettes. Sie entrollten eine.
Das Bett hatte schon viele Menschen beherbergt. Die Geschichte der Träume, die auf diesem Bett geträumt worden waren, war äußerst vielfältig. Das kleine Stöhnen, das sich tief in Candys Kehle sammelte, war sanft und über dem Eisenknarren der rostigen Sprungfedern des Bettes kaum zu hören; das Stöhnen war so zart in dieser moderigen Luft wie das flatternde Streicheln von Candys Händen, die sich wie Schmetterlinge auf Homers Schultern niederließen, bevor er spürte, wie ihre Hände ihn kräftig packten – und ihre Finger sich in ihn verkrallten, während sie ihn festhielten. Das Stöhnen, das ihr jetzt entschlüpfte, war schriller als die knirschenden Bettfedern und beinahe so laut wie Homers eigenes Tönen. Oh, dieser Junge, dessen Geschrei einst Legende gewesen war, oben am Fluß in Three Mile Falls – oh, wie konnte er tönen!
Olive
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