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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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wieviel schwerer es war, ein Floß aus Bambus und Lianen zu bauen als aus Pechkiefer und Seilen – und gefundenen Brettern und Nägeln. Und auch, wieviel schwerer der grüne Bambus war. Es machte nichts aus, daß das Floß leckte; es schwamm kaum über Wasser; und wenn er es an irgendeiner Stelle schleppen mußte, dann konnte er es, wie er wußte, nicht heben.
    Er bemerkte noch mehr Moskitos, besonders als der Fluß sich verbreiterte und die Strömung sich verlangsamte und er nur dahintrieb. Er hatte keine Ahnung, wie viele Tage er dahingetrieben war, oder wann er zum erstenmal mit Sicherheit wußte, daß er Fieber hatte. Etwa um die Zeit, als er die Reisfelder und die Wasserbüffel sah, sollte er später erzählen. Eines Tages sollte er sich daran erinnern, wie er den Frauen auf den Reisfeldern gewinkt hatte; sie schienen überrascht, ihn zu sehen.
    Als Wally die Reisfelder sah, muß er gewußt haben, daß er die falsche Richtung eingeschlagen hatte. Er war in das Innere Birmas gelangt, das geformt ist wie ein Drachen mit langem Schwanz; er war viel näher an Mandalay als an China, und die Japaner hielten Mandalay. Doch Wally hatte einhundertvier Grad Fahrenheit – das sind vierzig Grad Fieber; er ließ sich nur treiben; manchmal konnte er den Fluß nicht von den Feldern unterscheiden. Es war sonderbar, daß Männer wie Frauen lange Röcke trugen, doch nur die Männer hatten ihr Haar bedeckt; sie trugen etwas auf dem Kopf, das wie ein Korb aussah, und die Körbe waren mit Bändern von leuchtendbunter Seide umwunden. Die Frauen gingen barhäuptig, aber viele von ihnen steckten sich Blumen ins Haar. Männer wie Frauen flochten ihr Haar zu Zöpfen. Sie schienen dauernd zu essen, aber sie kauten nur Betelnüsse. Ihre Zähne waren verfärbt; mit ihren Lippen sahen sie aus, als hätten sie Blut getrunken, aber das war nur der Betelsaft.
    Die Behausungen, wohin sie Wally brachten, waren alle gleich – einstöckige, strohgedeckte Hütten auf Bambusstelzen; die Familien aßen draußen auf einer Veranda. Sie gaben ihm Reis und Tee und jede Menge Sachen mit Curry. Als sein Fieber fiel, aß Wally Panthay Khowse (Nudeln mit Huhn) und Nga Sak Kin (Fischbällchen mit Curry). Dies waren die ersten Wörter, die seine birmesischen Retter ihm beizubringen versuchten, aber Wally mißverstand es; er glaubte, Nga Sak Kin sei der Name des Mannes, der ihn von dem Floß getragen hatte und Wallys Kopf festhielt, während die Frau des Mannes Wally mit ihren Fingern fütterte. Sie war wunderbar klein und trug eine reinweiße Bluse; ihr Ehemann berührte die Bluse und nannte sie bei ihrem Namen, da er versuchte, Wally mehr von seiner Sprache beizubringen.
    »Aingyis«, sagte der Mann, und Wally glaubte, dies sei der Name der Frau.
    Sie roch wie das Innere der strohgedeckten Hütten – sie roch nach Kaliko und Zitronenschale.
    Sie waren ein so freundliches Paar, Nga Sak Kin und Aingyis; Wally wiederholte laut ihre Namen und lächelte. Sie lächelten zurück, der Herr Curryfischbällchen und seine Frau, die Frau Bluse. Sie rochen klebrigsüß wie Mandelgebäck. Sie rochen so zitrusherb wie bergamottensüß.
    Mit dem Fieber war die Starre in seinem Hals und seinem Rücken gekommen, doch als das Fieber fiel und er aufhörte sich zu erbrechen – als die Kopfschmerzen vorbei und die Schüttelfröste verschwunden waren und ihm nicht einmal mehr übel war – da bemerkte er die Lähmung. Damals war es eine starre Lähmung in seinen unteren und oberen Extremitäten. (»Spastizität«, hätte Wilbur Larch es genannt.)
    Wallys Arme und Beine standen starr ab, und er konnte sie nicht bewegen; er delirierte zwei bis drei Wochen lang, und wenn er zu sprechen versuchte, war seine Sprache schleppend und langsam. Er hatte Schwierigkeiten beim Essen, wegen des Tremors in seinen Lippen und in seiner Zunge. Er konnte seine Blase nicht leeren, und die Eingeborenen mußten ihn mit einem rauhen dünnen Bambusstengel katheterisieren – damit er überhaupt urinieren konnte.
    Sie transportierten ihn immer weiter. Sie transportierten ihn stets auf dem Wasser. Einmal sah er Elefanten; sie schleppten Baumstämme aus dem Wald. Die Wasseroberfläche wurde dauernd von Schildkröten und schwarzen Schlangen und Wasserhyazinthen aufgestört sowie von Betelsaft, der von einem dunkleren Rot war als die Blutspuren in seinem Urin.
    »Nga Sak Kin?« fragte Wally. »Aingyis?« fragte er. Wohin waren sie verschwunden? Auch wenn die Gesichter seiner Retter dauernd wechselten,

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