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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ihrem Vater, als sie allein waren.
    »Es ist so«, sagte Ray langsam. »Ich will dir sagen, wie er ist – ein Torpedo. Er ist wie Wally, der nach Hause kommt. Du weißt, er kommt, doch du kannst den Schaden nicht kalkulieren.«
    Candy bat Homer um eine Deutung dessen, was Ray gesagt hatte.
    »Er will dir überhaupt nichts sagen«, sagte Homer. »Er fischt im trüben – er möchte, daß du ihm etwas sagst.«
    »Angenommen, es geht alles weiter, wie es ist?« fragte Candy Homer, nachdem sie sich im Ciderhaus geliebt hatten, das noch nicht für den Ernteeinsatz geputzt worden war.
    »Wie es ist«, sagte Homer Wells.
    »Ja«, sagte sie. »Nur einmal angenommen, wir warten und warten. Wie lange können wir warten?« fragte sie. »Ich meine, angenommen, nach einer Weile wird es leichter, zu warten, als es zu sagen?«
    »Wir werden es sagen müssen, irgendwann«, sagte Homer Wells.
    »Wann?« fragte Candy.
    »Wenn Wally nach Hause kommt«, sagte Homer.
    »Wenn er nach Hause kommt, gelähmt, und weniger wiegt, als ich jetzt«, sagte Candy. »Ist das der Moment, ihn damit zu überfallen?« fragte sie.
    Gab es denn Dinge, in die man sich nicht hätte hineinfinden können? fragte sich Homer Wells. Das Skalpell, so erinnerte er sich, hat ein gewisses Gewicht; man braucht nicht darauf zu drücken – es scheint von selber zu schneiden – aber man muß doch in gewisser Weise die Verantwortung dafür übernehmen. Wenn man es aufnimmt, muß man es bewegen. Ein Skalpell erfordert nicht die Autorität der Kraft, aber es verlangt von dem Benutzer die Autorität der Bewegung.
    »Wir müssen wissen, wohin wir gehen«, sagte Homer Wells.
    »Aber wie, wenn wir es nicht wissen?« fragte Candy. »Wie, wenn wir nur wissen, daß wir bleiben wollen? Wie, wenn wir einfach warten und weiter warten?«
    »Du meinst, daß du niemals wissen wirst, ob du ihn liebst oder mich?« fragte Homer sie.
    »Zu alledem kommt vielleicht noch hinzu, wie sehr er mich brauchen wird«, sagte Candy. Homer legte seine Hand auf sie – dahin, wo ihr Schamhaar nachgewachsen war, beinah genau so, wie es gewesen war.
    »Glaubst du nicht, daß ich dich ebenfalls brauchen werde?« fragte er sie.
    Sie drehte sich auf die andere Hüfte und wandte ihm den Rücken zu – und zog dabei seine Hand weg von dort, wo er sie berührt hatte, und drückte sie an ihre Brust.
    »Wir müssen abwarten«, sagte sie.
    »Über einen gewissen Punkt hinaus möchte ich nicht warten«, sagte Homer Wells.
    »Welcher Punkt ist das?« fragte Candy.
    Weil seine Hand auf ihrer Brust lag, spürte er, wie sie den Atem anhielt.
    »Wenn Angel alt genug ist, um entweder zu wissen, daß er eine Waise ist, oder um zu wissen, wer seine Eltern sind«, sagte Homer. »Das ist der Punkt. Ich will nicht, daß Angel glaubt, er sei adoptiert. Ich möchte nicht, daß er nicht weiß, wer seine Mutter und sein Vater sind.«
    »Ich mache mir keine Sorgen um Angel«, sagte Candy. »Angel wird jede Menge Liebe bekommen. Ich mache mir Sorgen um dich und mich.«
    »Und um Wally«, sagte Homer.
    »Wir werden verrückt werden«, sagte Candy.
    »Wir werden nicht verrückt werden«, sagte Homer. »Wir werden uns um Angel kümmern müssen und dafür sorgen, daß er sich geliebt fühlt.«
    »Aber was, wenn ich mich nicht geliebt fühle, oder du – was dann?« fragte Candy ihn.
    »Wir werden warten bis dahin«, sagte Homer Wells. »Wir werden einfach abwarten«, sagte er, beinah überraschend heftig. Eine Frühlingsbrise wehte über sie hinweg und führte den eklig-süßen Gestank faulender Äpfel heran. Der Geruch hatte eine Schärfe, beinah wie Ammoniak, die Homer Wells so überwältigte, daß er Candys Brust losließ und seinen Mund und seine Nase mit der Hand bedeckte.
    Erst im Sommer sollte Candy zum erstenmal direkt von Wally hören. Sie erhielt tatsächlich einen Brief – einen richtigen Brief –, ihre erste Nachricht von ihm, seit er vor einem Jahr abgeschossen worden war.
    Wally hatte sechs Wochen im Mount-Lavinia-Spital in Ceylon verbracht. Man hatte ihn von dort nicht transportieren wollen, bevor er nicht mindestens fünfzehn Pfund zugenommen hatte, sein Muskeltremor abgeklungen war und die von der Unterernährung herrührende tagträumerische Geistesabwesenheit aufgehört hatte, die sein Sprechen beeinträchtigte. Er schrieb aus New Delhi; nach einem Monat dort hatte er weitere zehn Pfund zugenommen. Er sagte, daß er gelernt habe, Zimt in seinen Tee zu tun, und daß das Klatschen der Sandalen im Spital beinah

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