Gottes Werk und Teufels Beitrag
entschlossen hatte, tröstete sich mit dem Gedanken, daß sie nicht umsonst gestorben war. Ihr Tod (und Dr. Harlows besonders fühllose Reaktion darauf) war für Schwester Caroline Anlaß genug, um aus der Belegschaft des Spitals von Cape Kenneth auszuscheiden, wozu Homer Wells sie ermutigt hatte. Schwester Caroline griff endlich Homers Vorschlag auf und bewarb sich in St. Cloud’s.
»Homer Wells hat mich hergeschickt«, sagte Schwester Caroline, als sie sich Wilbur Larch vorstellte. Er war auf seine alten Tage nicht gerade unbekümmert geworden.
»Hergeschickt, wozu?« fragte Larch.
»Ich bin ausgebildete Krankenschwester«, sagte sie. »Ich bin hier, um Ihnen zu helfen.«
»Mir helfen, wobei?« fragte Larch, der als Inbegriff der Unschuld nicht sehr überzeugend wirkte.
»Ich bin für das Werk des Herrn«, sagte Schwester Caroline erzürnt.
»Nun, warum haben Sie das nicht gleich gesagt?« fragte Wilbur Larch.
Also hat er mir doch etwas geschenkt, außer den Apfelbäumchen, sinnierte der alte Herr. Also gibt es noch Hoffnung für ihn.
Vor lauter Erleichterung darüber, daß sie jetzt Schwester Caroline hatten, waren Schwester Angela und Schwester Edna nicht einmal eifersüchtig. Hier war das neue Blut, das den Treuhänderausschuß vielleicht noch ein Weilchen auf Abstand halten konnte.
»Die neue Krankenschwester ist entschieden eine Verbesserung der Situation«, gestand Dr. Gingrich dem Ausschuß. »Ich möchte sagen, sie befreit uns von dem Druck, unmittelbare Entscheidungen treffen zu müssen.« (Als ob sie den alten Herrn nicht lieber heute als morgen ablösen wollten!)
»Mir wäre ein junger Arzt lieber als eine junge Krankenschwester«, erklärte Mrs. Goodhall. »Ein junger Arzt und ein junger Verwaltungsgehilfe. Sie wissen, was ich von Ordnung halte. Die Ordnung hier ist ein Witz. Aber es ist wenigstens eine zeitweilige Verbesserung; das nehme ich Ihnen ab«, sagte sie.
Hätte Wilbur Larch sie hören können, er hätte gesagt: »Lassen Sie mir ein wenig Zeit, meine Dame, und Sie werden mir noch viel mehr abnehmen.«
Doch im Jahre 195– war Wilbur Larch in den Neunzigern. Manchmal blieb sein Gesicht so reglos unter dem Äthertrichter, daß dieser an Ort und Stelle liegenblieb, auch nachdem seine Hand herabgesunken war; nur ein kräftiger Atemzug konnte ihn von der Maske befreien. Er hatte einiges an Gewicht verloren. Im Spiegel oder auf seinen geliebten Ätherreisen hatte er den Eindruck, sich in einen Vogel zu verwandeln. Nur Schwester Caroline hatte den Mut, seine Drogensucht zu kritisieren. »Sie sollten es wissen, gerade Sie«, sagte Schwester Caroline streng zu ihm.
»Gerade ich?« fragte Dr. Larch unschuldig. Manchmal machte es ihm Spaß, sie zu provozieren.
»Sie haben eine schlechte Meinung von der Religion«, bemerkte Schwester Caroline zu ihm.
»Das mag schon sein«, sagte er vorsichtig. Sie war ein bißchen zu jung und zu schnell für ihn, das wußte er.
»Na, was glauben Sie wohl, ist Drogenabhängigkeit – wenn nicht eine Art Religion?« fragte Schwester Caroline.
»Ich habe nichts gegen Leute, die beten«, sagte Wilbur Larch. »Beten ist etwas Persönliches – Beten ist die Entscheidung jedes einzelnen. Beten Sie, zu wem oder was Sie wollen! Erst wenn man anfängt, Regeln aufzustellen –«, sagte Wilbur Larch, aber er fühlte sich auf verlorenem Posten. Er wußte, sie konnte ihn mit Worten umgarnen. Er bewunderte den Sozialismus, doch mit einer verdammten Sozialistin zu reden, das war, als redete man mit Glaubensfanatikern. Wie oft hatte er sie sagen hören, daß eine Gesellschaft, in der Abtreibungen illegal vorgenommen werden müssen, die Gewalt gegen Frauen billige; daß die Illegalisierung der Abtreibung einfach eine scheinheilige, selbstgerechte Form der Gewalt gegen Frauen wäre und nur eine Form der Legalisierung von Gewalt gegen Frauen. Wie oft hatte er sie sagen hören, daß Abtreibungen nicht nur das Recht auf freie Entscheidung des einzelnen wären, sondern auch eine Pflicht des Staates, der sie ermöglichen müßte. »Sobald der Staat anfängt, etwas zu ermöglichen, fühlt er sich auch berechtigt, die Regeln vorzuschreiben«, sprudelte Larch hastig hervor. Es war ein typischer Yankee-Spruch – ganz typisch Maine. Doch Schwester Caroline lächelte. Und schon köderte sie ihn mit einem neuen Argument; sie konnte ihn jederzeit in eine Falle tappen lassen. Er war eben kein systematisch denkender, sondern ein guter Mann.
»In einer besseren Welt …«, fing sie
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