Gottes Werk und Teufels Beitrag
klarkommst, ist unsere Angelegenheit, Angel«, sagte Wally.
»Weil wir dich lieben«, sagte Homer.
»Mr. Rose wird mir nichts tun«, meinte Angel.
»Natürlich nicht!« sagte Candy.
»Mr. Rose tut, was er will«, sagte Wally.
»Er hat seine eigenen Regeln«, sagte Homer Wells.
»Er schlägt seine Tochter«, erzählte ihnen Angel. »Er hat sie jedenfalls einmal geschlagen.«
»Halt dich da lieber raus, Angel«, sagte Wally zu dem Jungen.
»Das ist richtig«, sagte Homer.
»Ich werde mich da nicht raushalten!« sagte Candy zu ihnen. »Wenn er das Mädchen schlägt, bekommt er was zu hören.«
»Nein, das bekommt er nicht«, sagte Angel.
»Lieber nicht«, sagte Homer zu ihr.
»Sagt mir bloß nicht, was ich zu tun und zu lassen habe«, sagte sie ihnen, und sie waren still; es hatte keinen Sinn, Candy Vorschriften zu machen.
»Bist du sicher, daß es wahr ist, Angel?« fragte Candy.
»Ziemlich«, sagte der Junge, »neunundneunzig Prozent.«
»Laß es hundert Prozent werden, Angel, bevor du sagst, daß es wahr ist«, sagte sein Vater zu ihm.
»Richtig«, sagte Angel, stand vom Tisch auf und stellte seinen Teller weg.
»Wie gut, daß wir das alles geklärt haben«, sagte Wally, als Angel in der Küche war. »Wie gut, daß wir allesamt solche Experten sind für die Wahrheit«, sagte er, als Candy aufstand, um ihren Teller wegzustellen. Homer Wells blieb sitzen, wo er war.
Am nächsten Morgen erfuhr Angel, daß Rose Rose noch nie im Meer gebadet hatte – sie hatte in Florida Zitrusfrüchte gepflückt, und Pfirsiche in Georgia, und sie war die ganze Ostküste hinaufgefahren bis Maine, aber niemals hatte sie auch nur eine Zehe in den Atlantik gesteckt. Sie hatte nicht einmal den Sand gefühlt.
»Das ist verrückt!« sagte Angel Wells. »Am Sonntag fahren wir zum Strand.«
»Wozu?« sagte sie. »Glaubst du, ich sehe sonnengebräunt besser aus? Wozu sollte ich an den Strand gehen?«
»Zum Schwimmen!« sagte Angel. »Das Meer! Das Salzwasser!«
»Ich kann nicht schwimmen«, belehrte Rose Rose ihn.
»Oh«, sagte er. »Na, du brauchst nicht zu schwimmen, um dich im Meer zu vergnügen. Du brauchst ja nicht mit dem Kopf unter Wasser zu gehen.«
»Ich habe keinen Badeanzug«, sagte sie.
»Oh«, sagte Angel. »Da kann ich dir einen besorgen. Ich möchte wetten, daß einer von Candy dir passen würde.« Rose Rose schaute leicht überrascht drein. Ein Badeanzug von Candy würde ihr nur knapp passen.
Zur Mittagspause, nachdem Rose Rose sich versichert hatte, daß Baby-Rose bei Black Pan gut aufgehoben war, fuhr Angel sie zu dem Obstgarten mit den neu angepflanzten Bäumchen beim Cock Hill. Die Äpfel an den jungen Bäumen wurden nicht gepflückt, darum war niemand dort. Man sah das Meer so gut wie gar nicht. Man sah nur das unnatürliche Ende des Horizonts, wo sich der Himmel auf unerklärliche Weise abflachte – und wenn, sie auf dem Traktor standen, konnten sie die unterschiedlichen Blauund Grautöne erkennen, wo der Himmel sich mit dem Meer vermischte. Rose Rose blieb unbeeindruckt.
»Ach, geh«, sagte Angel zu ihr. »Du mußt dich von mir hinfahren lassen, damit du es richtig siehst!« Er zog sie liebevoll neckend am Arm, aber sie schrie plötzlich auf; seine Hand streifte ihren Rücken, als sie sich abwandte, und als er seine Hand anschaute, sah er ihr Blut.
»Es ist meine Periode«, log sie. Auch ein fünfzehnjähriger Junge weiß, daß das Blut, wenn eine Frau ihre Periode hat, sich normalerweise nicht am Rücken befindet.
Nachdem sie sich ein Weilchen geküßt hatten, zeigte sie ihm einige der Wunden – nicht die an ihren Schenkeln, nicht die am Hintern; bei denen mußte er ihren Worten glauben. Sie zeigte ihm nur die Schnitte an ihrem Rücken – es waren feine, fadendünne, rasiermesserscharfe Schnitte; es waren äußerst wohlerwogene, sehr vorsichtige Schnitte, die in ein paar Tagen völlig abheilen würden. Sie waren kaum tiefer als Kratzer; sie sollten keine Narben hinterlassen.
»Ich hab’s dir gesagt«, sagte sie zu Angel, aber trotzdem küßte sie ihn, fest. »Du hättest dich nicht einlassen sollen mit mir. Ich bin eigentlich nicht frei.«
Angel sah ein, daß er die Sache mit den Schnitten Mr. Rose gegenüber besser nicht zur Sprache bringen sollte; das würde alles nur schlimmer machen – davon überzeugte ihn Rose Rose. Und wenn Angel sie jemals zum Strand mitnehmen wollte – irgendwie, an einem Sonntag –, dann sollten sie beide so nett wie nur möglich zu Mr. Rose sein.
Der Mann
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