Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
weich geworden. Im Grunde war Homer untröstlich. Denn daß er Melonys Geschichte nicht auftreiben konnte, hieß, daß sie ihm das offenbar einzigartige Erlebnis des Ponys für immer vorenthalten würde. 
     
    »Was meint er eigentlich: ›Nicht zu finden‹?« schrie Melony Homer an; sie waren auf der überhängenden Veranda des Gebäudes, wo die Frau und das Pony so viele Jahre miteinander verbracht hatten. »Was er meint, ist folgendes: Er spielt Gott – er gibt dir deine Geschichte, oder er nimmt sie dir weg! Wenn das nicht Gott-Spielen ist!«
    Homer Wells ließ das auf sich beruhen. Dr. Larch spielte auf andere Weise Gott, dachte Homer; seiner wohlbedachten Überzeugung nach spielte Dr. Larch sogar ziemlich gut Gott.
    »Hier in St. Cloud’s«, schrieb Dr. Larch, »bin ich vor die Wahl gestellt worden, entweder Gott zu spielen oder praktisch alles dem Zufall zu überlassen. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß praktisch alles die meiste Zeit dem Zufall überlassen bleibt; Menschen, die an Gut und Böse glauben und glauben, daß das Gute gewinnen soll, sollten auf solche Gelegenheiten achten, da es möglich ist, Gott zu spielen – wir sollten solche Gelegenheiten ergreifen. Es werden nicht viele sein.
    Hier in St. Cloud’s mag es mehr solche Gelegenheiten geben als überall sonst auf der Welt, aber nur, weil so vieles hier bisher dem Zufall überlassen worden ist.«
    »Zum Teufel mit ihm!« kreischte Melony; aber der Fluß rauschte so laut wie immer, das leere Gebäude hatte schon Schlimmeres gehört, und Homer Wells ließ auch diese Bemerkung auf sich beruhen.
    »Wie schade für dich, Sonnenstrahl«, keifte Melony ihn an. »Nicht wahr?« beharrte sie. Er ging auf Abstand.
    »So!« gellte sie, und »O!« kam das Echo knapp von den Wäldern von Maine jenseits des Flusses zurück. Sie hob ihr massiges Bein und trat ein ganzes Stück der zerrütteten Verandabrüstung in den Fluß. »So, und damit basta!« schrie Melony, aber der Forst war zu dicht, um auch nur ein gekapptes Echo von »basta!« hervorzubringen. Wie Homer Wells ließen auch die Wälder von Maine Melonys Bemerkung auf sich beruhen. »Jesus!« schrie Melony, aber der Forst wiederholte nichts; möglicherweise knarrte das alte Gebäude, vielleicht seufzte es. Es war schwer, dieses Gebäude zu zerstören; die Zeit und andere Vandalen hatten es bereits zerstört; Melony suchte nach Teilen des Gebäudes, die sie noch zerstören konnte. Homer folgte ihr in sicherem Abstand.
    »Sonnenstrahl«, sagte Melony, die eine noch nicht zertrümmerte Fensterscheibe gefunden hatte – und sie zertrümmerte. »Sonnenstrahl, wir haben niemanden. Wenn du mir sagst, daß wir einander haben, schlag ich dich tot.«
    Homer war es nicht eingefallen, diesen Einwand – oder sonst einen – gegen Melony vorzubringen; er schwieg.
    »Wenn du mir sagst, daß wir deinen Lieblingsdoktor haben – oder dies alles hier«, sagte sie und stampfte erst mit dem Fuß auf eine Bodendiele und riß dann die Bodendiele mit beiden Händen heraus, »wenn du mir dies sagst, werd ich dich foltern, bevor ich dich totschlage.«
    »Richtig«, sagte Homer Wells.
    Mit der Bodendiele in beiden Händen bearbeitete Melony das Geländer im Treppenhaus; das Geländer war leicht zu zertrümmern, doch der Geländerpfosten, an dem das ganze Geländer in der Eingangshalle verankert war, widerstand. Melony ließ die Bodendiele fallen und packte ungestüm den Geländerpfosten.
    »Zum Teufel mit euch!« fluchte sie kreischend – auf Dr. Larch, auf ihre Mutter, auf St. Cloud’s, auf die Welt. Sie rang den Pfosten zu Boden; er war immer noch mit dem Hauptstützbalken unter den Bodendielen verbunden, aber Melony schwang ein Stück vom Treppengeländer wie eine Keule und hieb damit so lange auf den Pfosten, bis er sich lockerte. Als sie den Pfosten hochzuheben versuchte und es nicht konnte, wandte sie sich vorwurfsvoll an Homer.
    »Siehst du denn nicht, daß ich Hilfe brauche?«
    Gemeinsam hoben sie den Pfosten hoch und stießen damit wie mit einem Rammbock die Küchenwand ein.
    »Wieso bist du nicht wütend?« fragte sie Homer. »Was ist mit dir los? Du wirst nie herausfinden, wer dir das angetan hat! Macht es dir gar nichts aus?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Homer Wells. Gemeinsam rammten sie den Pfosten frontal gegen einen ziemlich dicken Balken; vielleicht stützt er das obere Stockwerk, dachte Homer Wells. Drei Stöße versetzten sie dem Balken, und jedesmal prallten sie in eine andere Richtung zurück; beim

Weitere Kostenlose Bücher