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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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gemacht, dachte Homer Wells. »Was machten sie?« flehte Fuzzy. »Die Frau«, sagte Fuzzy keuchend, »wie konnte sie! Wie konnte sie atmen?« fragte Fuzzy atemlos. Er keuchte schlimm, als Homer ihn verließ. Bei Tageslicht wirkte Fuzzy beinah durchsichtig, als könne man – wenn man ihn gegen eine ausreichend helle Lichtquelle hielt – durch ihn hindurchsehen, alle seine zerbrechlichen Organe sehen, wie sie sich mühten, ihn durchzubringen.
    Dr. Larch war nicht in Schwester Angelas Büro, wo Homer ihn zu finden erwartet hatte; Homer war froh, daß Schwester Edna und Schwester Angela nicht in der Nähe waren; er schämte sich besonders, ihnen vor die Augen zu treten. Draußen vor der Spitalpforte sah er Schwester Angela mit dem Mann sprechen, der den nicht brennbaren Abfall fortschaffte. Der Gegenstand ihres Gesprächs war John Wilburs alte Matratze. Homer ging in die Apotheke, um Dr. Larch zu suchen.
    Es war ein schwerer Tag gewesen für Wilbur Larch, der sich mit einem ungewöhnlich kräftig getränkten Mulltrichter auf seinem Spitalbett in der Apotheke ausgestreckt hatte. Die gemeldete Verwüstung der sogenannten Sägewerkerhütte machte Larch weniger zu schaffen, als sie gewisse Leute aus der Stadt empörte, die beobachtet hatten, wie Homer und Melony den Schaden anrichteten – hauptsächlich Melony, wie Larch richtig vermutete. Wozu sind verlassene Gebäude da? fragte sich Larch – wenn nicht, um von Kindern ein bißchen verwüstet zu werden? Die Meldung, daß das halbe Gebäude flußabwärts geschwommen sei, war sicherlich übertrieben.
    Er atmete ein und dachte daran, was ihn wirklich beunruhigt hatte: diese Photographie. Diese Frau mit dem Pony.
    Es hatte Larch nicht gestört, daß Homer Wells das Bild hatte: Halbwüchsige interessierten sich für solche Dinge. Larch wußte, daß Homer es niemals den kleineren Jungen gezeigt haben würde; daß Homer eine solche Photographie aufbewahrt hatte, bedeutete für Wilbur Larch, daß es an der Zeit war, Homer die ernsteren Pflichten eines Erwachsenen aufzutragen. Es war Zeit, die Lehrzeit zu verschärfen.
    Die Photographie an sich war für Larch nicht gar so besorgniserregend. Immerhin hatte er einst im South End gearbeitet. Solche Photographien gab’s überall; zu Wilbur Larchs Zeiten an der Bostoner Entbindungsanstalt kosteten solche Bilder einen Nickel.
    Was Larch beunruhigte, war die Frau auf der Photographie; er hatte Mrs. Eames’ tapfere Tochter auf Anhieb wiedererkannt. Larch hatte ihre Wangen schon früher aufgebläht gesehen – sie war eine altgediente Zigarrenraucherin, nicht unbewandert im Einführen seltsamer Sachen in ihren Mund. Und als sie mit akuter Bauchfellentzündung vor seine Tür gebracht worden war, eine Folge wer weiß welch unsäglicher Verletzungen, die sie »abseits von Harrison« erlitten hatte, da waren ihre Augen herausgequollen. Beim Betrachten der Photographie mußte Larch an das Leben denken, das sie gehabt haben mußte; es erinnerte ihn auch daran, daß er ihr Leben ein bißchen weniger qualvoll hätte gestalten können, indem er ihr eine Abtreibung gewährte. Die Photographie erinnerte Larch an ein Leben, das er zumindest vorübergehend hätte retten können. Mrs. Eames’ tragische Tochter hätte seine erste Abtreibungspatientin sein sollen.
    Wilbur Larch betrachtete die Photographie und fragte sich, ob Mrs. Eames’ Tochter für das Posieren mit dem Pony genug bezahlt bekommen hatte, um sich das Abtreibungshonorar »abseits von Harrison« leisten zu können. Wahrscheinlich nicht, schloß er – es war nicht mal eine besonders gute Photographie. Wer immer die Beteiligten in Pose gebracht hatte, war mit dem phänomenalen schwarzen Zopf der jungen Frau achtlos umgegangen; man hätte ihn über ihre Schulter drapieren können oder ihn neben der Brust liegen lassen, wo seine Schwärze das Weiß ihrer Haut betont hätte. Man hätte ihn nach hinten werfen können, hinter ihren Kopf, was zumindest die ungewöhnliche Dicke und Länge des Zopfes hervorgehoben hätte. Offensichtlich hatte sich niemand über den Zopf Gedanken gemacht. Er lag seitlich neben dem Gesicht von Mrs. Eames’ Tochter, zusammengerollt in einem Schatten, der von einem der stämmigen kurzen Zottelbeine des Ponys geworfen wurde. Für die Photographie war der Zopf verloren; man hätte Mrs. Eames’ Tochter kennen müssen, um zu wissen, was dieses dunkle Gebilde neben dem angespannten Gesicht der Frau war.
    »Tut mir leid«, sagte Larch und holte tief Luft. Mrs.

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