Gottesdienst
Dr. Kalajian war und -«
Gerade als ich meine Finger auf die Tastatur gelegt hatte, klopfte es an der Tür.
»Das wird der Kaufinteressent sein. Durchsuchen Sie ruhig die Dateien, aber sagen Sie bitte nichts, während ich den Mann durch die Praxis führe.«
Ein älterer Herr im maßgeschneiderten Anzug und einem Ausdruck höflicher Neugier im Gesicht trat ein. Olsen zwang das Lächeln zurück in ihr Gesicht und marschierte mit säbelartig ausgestreckter Hand auf ihn zu.
Ich begann nach Namen zu suchen, die mir bekannt waren. Tabitha Delaney. Nichts. Gut. Chenille Wyoming, Shiloh Keeler, Glory Moffett. Nichts. Ich stellte die Suchfunktion so ein, das mir Kalajians weibliche Patienten des letzten Jahres angezeigt wurden und begann mich vom Buchstaben A an durch die Dateien zu klicken. Vor meinen Augen erschienen Fotos von nicht mehr ganz frischer Haut, adipösem Gewebe, Orangenhaut, Knoten und angesammeltem menschlichen Unglück, alles im normalen Schwankungsbereich der Schöpfung. B, C, D. Weitere Gesichter folgten, die sich Erlösung durch das Skalpell versprachen. E, F, G. Ein gelegentlicher Geburtsfehler oder eine Entstellung als Resultat eines Unfalls oder einer Krankheit.
H bis N. Das Technicolor-Bild eines Hinterns erschien auf dem Bildschirm. Es war ein gewaltiger Hintern, dessen Größe selbst zweidimensional noch ins Auge stach, aber geschicktes Liften und ein paar Schnitte hatten daraus eine Modellkehrseite geformt. Kalajian war ein echter Künstler gewesen.
Mein Blick fiel auf den nächsten Patientennamen. Olson, Esther. Aber in dem Moment kam sie gerade wieder zum Empfang zurück und plauderte mit dem neuen Arzt. Ich klickte weiter.
Und dann entdeckte ich sie. Der schmachtende, leicht nervöse Blick kam mir bekannt vor. Der Name im Akteneintrag lautete Peters, Kelly, daneben eine dicke rote Notiz: Zahlung überfällig. Als ich das Vorher -Foto betrachtete, wusste ich auch, woher die Narbe an ihrem linken Augenwinkel stammte. Kalajian hatte dort die Knasttätowierung einer Träne entfernen lassen.
Es war Glory.
Mein Herz raste. Das hatte ich gehofft zu finden – einen Hinweis, dass die Standhaften die Finger im Spiel hatten. Aber bei der Vorstellung, dass Glory Kalajian umgebracht hatte, taten mir die Augen weh.
Olson brachte den Arzt zur Tür. Ich druckte die Akte aus.
Glory. Glory ist nicht mein richtiger Name. Und Kelly Peters war auch nicht ihr Name, darauf wettete ich. Verdammt. War sie an diesem Juliabend in die Praxis eingebrochen? Hatte Mel Kalajian sie mit Medikamenten in der Hand erwischt? Hat sie sich die Kanüle geschnappt und … nein. Kalajian war ein ziemlich kräftiger Mann, der seinem Angreifer erbitterten Widerstand geleistet hatte. Glory war eine schmächtige junge Frau. Das passte nicht zusammen.
Je mehr ich darüber nachdachte, umso weniger Sinn ergab das ganze Szenario. Warum sollte sich Glory der schmerzhaften Tattoo-Entfernung unterziehen, wenn sie ohnehin vorhatte, nach Praxisschluss einzubrechen? Und dann wurde mir alles klar.
Olson kam allein wieder zurück.
»Wie ist der Einbrecher überhaupt in die Praxis gelangt?«, fragte ich.
Sie blieb stehen, und ihr Gesicht lief rot an. »Warum fragen Sie?«
Bingo. Ich ließ den Stuhl zu ihr herumwirbeln. »Es war kein Einbruch, oder?«
»Der Giftschrank wurde aufgebrochen.«
»Aber nicht die Tür zur Praxis.«
Sie wischte ein paar Fussel von ihrer lodengrünen Jacke. Ich starrte sie an.
»Nein«, gab sie schließlich zu. »Sie haben einen Schlüssel benutzt. Dr. Kalajian dachte, er hätte ihn verloren. Wir haben nie die Schlösser ausgetauscht, das wäre sehr teuer gewesen.«
Ihre Stimme war eine gute halbe Oktave in die Höhe gegangen. Sie, die effiziente Praxisleiterin, hatte das Geld sparen wollen – und ihr Geiz hatte sich als tödlich erwiesen.
Ich wollte sie jetzt nicht vor den Kopf stoßen. »Ich glaube, ich habe Ihre mysteriöse Patientin gefunden.«
Flink eilte sie um den Tisch herum und warf einen Blick auf den Computerbildschirm. »Das ist sie?« Sie verschränkte ihre Arme und schüttelte den Kopf. »Sie sieht irgendwie verlogen aus, oder? Sie glauben, das ist die …«
»Ich weiß es nicht.«
Ich zerbrach mir schon wieder wegen etwas ganz anderem den Kopf. Chenille hatte von Kevin Eichner gefordert, dass er ihr Medikamente aus einer Arztpraxis besorgte. Was benötigte sie von einem Arzt, das sie nicht auch auf der Straße bekommen konnte?
»Esther, was für Medikamente wurden genau gestohlen?«
Sie
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