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Gottesdienst

Titel: Gottesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Gardiner
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dann fiel mir auch der Rest auf: der Schreibtischstuhl, der zur Tür gerückt worden war, und die Abschürfungen, die das Seil an Jesses Handgelenken hinterlassen hatte.
    »Du hast versucht zu flüchten.«
    »Sie hatten mir die Hände gefesselt, aber nicht gut genug. Ich konnte mich befreien und hab das Seil wie ein Lasso benutzt, um die Tür weit genug aufzuziehen. Dann hab ich mich durch den Spalt in die Luftschleuse gezwängt und die Eingangstür geöffnet.«
    Er musste Stunden dafür gebraucht haben. Ich setzte mich neben ihn und nahm seine Hand.
    Mit der anderen Hand fuhr er sich durchs Haar. Seine Stimme verlor an Kraft. »Sie haben mich mit verbundenen Augen im Anhänger eines Geländewagens hergebracht. Und Überraschung: Als ich es durch die äußere Tür geschafft hatte, befand ich mich tatsächlich mitten im hinterletzten Nichts, und irgendwer hatte den Thermostat bis zum Anschlag auf Verglühen hochgedreht. Ich sah zu, dass ich wieder nach drinnen kam und schloss die Türen, damit sie nicht mitkriegten, dass ich nach draußen kann. Hab mich dann an Plan C gehalten.«
    »Was ist denn aus Plan B geworden?«
    »Die Türen zu öffnen war Plan B. Die Polizei mit dem Funkgerät zu benachrichtigen war Plan A. Aber sie haben die Leitungen rausgerissen. Also …« Er griff unter die Matratze. »Plan C: Ich prügele jedem, der kommt, die Scheiße aus dem Leib, bevor er mich mit Botox impfen kann.«
    Gewalt hatte sich noch nie so verlockend angehört. Ich hob seine Hand zum Mund und küsste sie.
    »Ich wollte warten, bis es Nacht wird, und abhauen, sobald es kühler geworden ist.«
    »Du befindest dich in über fünfzig Kilometer Entfernung von der Stadt.«
    »Na ja, da trifft es sich ja genau richtig, dass du vorbeigekommen bist.« Er wirkte benommen, an glückliche Fügungen war er nicht gewöhnt. »Aber vorher musst du dir mal das Gemälde genauer ansehen. Gib mir die Hand, hilf mir aufstehen, ich zeig dir was.«
    »Du kannst doch den Bruch jetzt nicht belasten.«
    »Wenn ich mich auf deine Schulter stütze, schaffe ich es auf meinem gesunden Bein bis zum Stuhl.« Vorsichtig setzte er die Füße auf den Boden.
    Mit ihm zu diskutieren war reine Zeitverschwendung. Also baute ich mich vor ihm auf und packte ihn mit beiden Händen unter den Achseln. Er hatte kräftige Arme, aber anheben musste ich ihn. Dreibeinig humpelten wir zur Tür. Selbst durch seine Kleidung hindurch konnte ich die Fieberhitze spüren.
    Plan D, auf diese Weise durch den Canyon zu hinken, konnten wir definitiv vergessen. Über den Sand und die Felsen würde er es keine fünfzig Meter weit schaffen. Ich musste zurück zum Wagen, zum Eingang des Copper Creek zurückfahren, dort die Polizei treffen und sie herbringen. Garrett musste sie mittlerweile benachrichtigt haben.
    Jesse ließ sich auf den Stuhl fallen und berührte das Bild. Mit den Fingern fuhr er über einen kleinen Ausschnitt mit schwarz-weißen Illustrationen.
    »Das ist neu.«
    Auf der Tür erkannte ich die Bilder im Bild: schnell, aber mit sicherer Hand ausgeführt, zogen sie sich über kleine Leerstellen innerhalb des Gemäldes.
    »Das hat Tabitha gezeichnet, oder?«, fragte er.
    Ich fuhr mit den Fingerspitzen darüber. »Ja.« Sie war hier gewesen und hatte diese Zeichnungen hinterlassen. Warum? Weil Worte aufgefallen wären. Ich nahm die Zeichnungen unter die Lupe.
    Es war eine neue Version des HELL-o-ween -Comics. Verkleidete Kinder – als Monster oder Ballerina – auf einem Spielplatz, daneben eine Schaukel, ein Schulgebäude im Hintergrund – das war der Spielplatz von Lukes Schule. Ich bekam eine Gänsehaut.
    In der nächsten Zeichnung vertilgten die Kids ihre Halloween-Süßigkeiten. Sie saßen in Rollstühlen oder gingen an Krücken – ich musste an Karina Eichner denken. Letzte Zeichnung: Kinder lagen tot am Boden oder griffen sich an den Hals. Die Süßigkeiten hatten sie noch in der Hand.
    Die Luft war so trocken, dass ich Kopfschmerzen davon bekam. »Das ist eine Warnung.«
    »Die Standhaften wollen Kinder vergiften?«
    »Ja.«
    »Warum?« Seine Stimme war heiser. »Als Strafe? Soll das das Jüngste Gericht der Standhaften werden?«
    Jedes Jahr töten Satanisten kleine Kinder mit vergifteten Süßigkeiten, hatte Glory gesagt. Chenille glaubt, dass das auch umgekehrt funktioniert ...
    »Die Kinder sollen als Köder dienen.«
    So wollte Chenille also all die Bundesbeamten nach Santa Barbara locken. In meinem Kopf dröhnte es. Ich spürte ein warmes Rinnsal an meiner

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