Gottesdienst
Lokalnachrichten, die von einem Grauwal berichteten, der gestrandet und gestorben war. Von Luke oder der Babysitterin hörte ich nichts. Ich rief ihren Namen, bevor ich bemerkte, dass ihr Rucksack und ihre Bücher ebenfalls fehlten. Rasch lief ich durch den dunklen Flur zu Lukes Zimmer. Als ich die Tür aufriss, fiel der Lichtschein aus dem Flur auf einen Mann, der an Lukes Bett saß.
»Um Himmels willen«, entfuhr es mir.
»Leise, du weckst ihn sonst noch.«
»Jesse, erschreck mich doch nicht so.«
Er drehte sich um und warf mir einen seltsamen Blick zu. Offenbar war er nicht davon ausgegangen, dass seine Anwesenheit in meinem Haus mich erschrecken würde. »Ich hab die Babysitterin bezahlt und nach Hause geschickt. Stimmt irgendwas nicht?«
»Was machst du denn da?«
»Ich hab nur nach ihm geschaut.«
Lukes Schlafanzugoberteil hatte sich bis unter sein Kinn hochgeschoben, die Arme hatte er über seinen Kopf ausgestreckt. Ich deckte ihn wieder zu und setzte seinen Teddybär neben ihn. Er trug das Abzeichen von Brians Geschwader als Aufnäher: Kampffliegergeschwader 151, The Vigilantes.
Jesse folgte mir nach draußen. Geräuschlos schloss er die Tür. »Also, was ist los?«
Auf Zehenspitzen schlich ich in die Küche und griff nach der Flasche Jack Daniel’s, die ich mir für besonders anstrengende Tage aufgehoben hatte. »Du hattest recht. Tabitha will Luke.«
Er betrachtete das mittlerweile dreckverschmierte grüne Cordhemd, das ich trug, und meine von Schnitten gezeichneten Hände. Ich schenkte mir zwei Finger Whisky ein und trank. Als ich spürte, wie der J. D. in meinem Hals brannte, stützte ich meine Ellenbogen auf den Küchentresen und kühlte meine Stirn an dem Glas in meinen Händen.
»Es ist, als wäre sie in einen Bus gesprungen. Der Bus brennt, die Reifen sind platt, er fährt auf eine Klippe zu, und sie drückt auf die Hupe und denkt, dass sie errettet ist!« Ich riss mich zusammen. »Ich habe die Standhaften völlig falsch eingeschätzt. Das sind keine normalen Fundamentalisten, das sind gefährliche Endzeitfanatiker.«
Ich erzählte ihm alles. Er rollte neben mich, drehte den Wasserhahn auf und brachte mich dazu, den Whisky abzustellen und meine Wunden zu säubern. Während ich redete, trieb er Desinfektionsmittel und Pflaster auf und verarztete meine Hände mit ungerührter männlicher Nonchalance.
»Willst du mit einem Anwalt für Familienrecht sprechen?«, fragte er. »Wir haben einen Typen in der Firma, der sich in Sorgerechtsangelegenheiten festbeißt wie ein Pitbull.«
»Nicht nötig. Das Sorgerecht ist definitiv auf Brians Seite. Sie kann nicht einfach kommen und ihn sich schnappen. Solange sie nicht mit einer Vorladung auftaucht, brauche ich keinen Rechtsanwalt.«
»Was wirst du tun?«
»Stillhalten und Luke nächste Woche zu Brian bringen, genau wie geplant.«
Er betrachtete die Fotos von Brian am Kühlschrank. »Ja, ich bin sicher, dass sich Captain America der Sache annehmen wird.«
Ich überhörte seinen sarkastischen Unterton. Wir hatten beide einen harten Tag gehabt. Er hatte lange gearbeitet, das konnte ich sehen – er trug noch immer seine Gerichtsklamotten, die Hemdsärmel waren hochgerollt, und der rote Schlips hing auf Halbmast. Als er erneut sprach, klang seine Stimme müde.
»Sag mir, dass Wyoming ein Hochstapler ist, Evan. Dass er nicht selbst an den Mist glaubt, den er predigt, dass er nur ihr Geld will.«
»Nein, genau das glaube ich nicht.« Ich trank meinen Whisky aus.
»Du meinst, es steckt mehr dahinter als Selbstüberschätzung? Er glaubt diesen ganzen Kram mit der Heiligen Kirche der Sturmgewehre?«
»Er macht sie heiß darauf, sich dem Antichrist zu stellen. Er bereitet sie auf Gewalttaten in aller Öffentlichkeit vor. Er hat sie dazu gebracht, den Lastwagen zu stürmen.«
Wieder konnte ich den verbrannten Gummi riechen und den reglosen Arm des Verletzten vor mir sehen … Warum bloß war er in die Versammlung eingedrungen? Was hatten die Standhaften ihm angetan? »Ich habe das unangenehme Gefühl, dass Pastor Pete große Pläne hegt.«
Ein kurzes Schweigen trat ein. »Soll man sich das so vorstellen wie bei Heaven’s Gate?«
Massenselbstmord. Ich schnaufte. »Sie reden nicht von einem anderen Königreich, sie sprechen von einem Rambo-Messias, der auf die Erde niederstürmt und sie in die Schlacht führt.«
»Waco.«
»Sprich es nicht mal aus.«
Er erwiderte meinen Blick. Freundlicherweise verkniff er sich die Plattitüden, versuchte mir
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