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Gottesdienst

Titel: Gottesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Gardiner
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gerade in der Fahrerkabine gesehen hatte: lange kastanienfarbene Locken und den schlanken Arm einer Frau – Tabitha. Ich wollte fluchen, aber meine Kehle war wie ausgetrocknet.
     
    »Abschreckungstaktik«, meinte Jesse.
    »Ablenkungstaktik.« Ich klappte die Sonnenblende an der Frontscheibe nach unten und gab Gas, den West Camino Cielo hoch. »Chenille Wyoming sollte mich lange genug bei Beowulf beschäftigen, dass ich zu spät in der Schule ankam.«
    Chenille und Tabitha wussten nicht, dass Luke gelernt hatte, in jedem Fall auf dem Schulhof zu warten, ganz egal, was passierte. Vielleicht hatten sie gehofft, er würde alleine nach Hause laufen, oder verloren um sich blicken, bis jemand seinen Namen rief und ihn zu sich und den lächelnden Gesichtern im Pickup herüberwinkte … Mir lief es eiskalt den Rücken herunter.
    Wir donnerten die Straße hoch, vorbei an blaugrauen Steineichenwäldern und Sandsteinfelsen. Jesses Haar flatterte im kühlen Wind, der durch die offenen Fenster drang. Er hatte ein schwarzes Pendleton-Hemd und khakifarbene Jeans an, die die Gehschiene an seinem rechten Bein bedeckten. Es war früh am Mittwochabend.
    »Etwas anderes macht mir mehr Sorgen«, sagte er. »Chenille hätte Lithium Sunset gar nicht lesen müssen, um dir eine Szene zu machen. Aber anscheinend hat sie ein gesteigertes persönliches Interesse an dir.«
    Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Denn in diesem Moment bogen wir über den holprigen Sandweg in Tabithas Einfahrt ein. Mir fiel auf, dass der Rasen gemäht und das Unkraut beseitigt war, eingetopfte Begonien säumten den Eingang.
    »Phaser auf Ekligsein einstellen«, sagte ich.
    Nachdem ich geklingelt hatte, öffnete sich quietschend die Tür. Tabitha stand mit weit aufgerissenen Augen im Eingang und presste einen Zeichenstift gegen ihren Mund. Sie trug eine Strickweste mit Rosenmuster und einen langen Blümchenrock, der ihre Figur umschmeichelte: Für einen Abend allein am Zeichenbrett war sie ziemlich elegant gekleidet.
    »Wir müssen uns über Luke unterhalten«, sagte ich. Ihre Augen wanderten zu meinem Explorer. Ich fügte hinzu: »Ich habe ihn nicht mitgebracht. Du wirst ihn nicht zu sehen bekommen. Das hast du dir heute selbst vermasselt.«
    Sie tippte mit dem Stift gegen ihre Lippen. »Was hat Jesse hier zu suchen?«
    »Er begleitet mich.«
    Er humpelte mit seinen Aluminiumkrücken auf uns zu. Tipp, tipp, tipp – erst war es der Zeichenstift, jetzt ihre nackten Füße mit den lackierten Zehen.
    »Tabitha«, sagte ich lauter, verärgert, dass sie mir keine Aufmerksamkeit schenkte. »Wenn du oder irgendjemand von den Standhaften nur noch einmal in Sichtweite von Lukes Schule auftauchst, wird der Direktor die Polizei benachrichtigen. Wenn du ihn verfolgst oder mit ihm zu reden versuchst, werde ich ein richterliches Verbot erwirken. Haben wir uns verstanden?«
    Sie blinzelte. Mittlerweile hatte der Stift am oberen Ende die Farbe ihres dunkelroten Lippenstifts angenommen. Schließlich, als ob sie mich jetzt erst gehört hätte, sagte sie: »Du kannst einer Mutter nicht verbieten, ihr eigenes Kind zu sehen.«
    »Unter diesen Umständen? Darauf kannst du aber wetten!«
    Sie hörte auf, den Stift zu bewegen. »Ich hätte nicht gedacht, dass du so rachsüchtig sein kannst.«
    »Wie bitte?«
    »Ich wollte ihn doch nur einmal kurz sehen, mich einfach nur davon überzeugen, dass er gesund ist. Bloß ein einziges Mal, aber selbst das ist schon zu viel für dich.«
    In meinen Ohren pochte es. »Hör auf mit dem Schmierentheater. Du hast Luke sitzengelassen. Brian hat das alleinige Sorgerecht, und von jetzt an benötigst du die Erlaubnis eines Richters, um ihn zu sehen. Natürlich geht es ihm gut. Aber erst jetzt.«
    Sie verschränkte die Arme. »Wie willst du das denn wissen, du bist nicht seine Mutter. Du hast ihn nicht ausgetragen, hast ihn nicht gestillt. Du bist … die Tagesmutter.«
    Warum rammte sie mir nicht gleich den Zeichenstift zwischen die Augen? Sprachlos stand ich da. Ich wünschte, Jesse würde mir zu Hilfe kommen, aber er warf gerade einen Blick in die Garage.
    Ein Schatten tauchte jetzt hinter Tabitha im Eingangsbereich auf. Es war ein Mann. Es war Peter Wyoming.
    »Ah, Miss Delaney«, sagte er. »Tabitha, bitte sie doch herein.«
    Ich riss die Augen auf. Tabitha blinzelte heftig. Sie wirkte extrem nervös, doch sie gehorchte ihm. »Möchtest du nicht hereinkommen?«, sagte sie steif.
    Ich zögerte und blickte mich zu Jesse um, aber der schüttelte

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