Gottesdienst
Standhaften geführt hatte, damit sie im Blut des Lammes gereinigt werden konnte.«
»Aber ich nehme ihm nicht ab, dass er selber dran geglaubt hat. Ich denke, er hielt sie immer noch für schmutzig«, sagte Kevin. »Er und seine Frau waren meistens ziemlich kühl zueinander, aber dann, zack, drehte sich auf einmal alles nur noch um Sex.«
Alicia wurde rot.
»Kurz drauf ließ er wieder eine Tirade los und befahl verheirateten Paaren, dem Sex abzuschwören.« Er lachte. »Ja, klar. Nur weil sie dich nicht ranlässt …« Er wandte sich an Alicia. »Erzähl ihr von dem Frauenwochenende.«
»Oh. Wir hatten eine Klausur, draußen in der Wüste.«
»Angel’s Landing«, sagte ich.
»Ja, ein richtiges Drecksloch. Chenille hielt ihre sogenannte Intensivlehrstunde nachts am Lagerfeuer ab. Es war ziemlich gruselig, das kann ich Ihnen sagen.« Sie schnaubte. »Sie sprach über Mutterschaft in den Zeiten der Trübsal, wenn der Antichrist an der Macht ist und die Gläubigen verfolgt werden. Sie sagte, dass die Christen flüchten müssten und wir nur leichtes Gepäck bei uns tragen dürften, um schnell reagieren und Überraschungsangriffe durchführen zu können. Sie sprach von den Standhaften als Guerillaarmee.«
»Feuer frei.«
»Genau. Sie zitierte aus der Heiligen Schrift, erzählte von der Endzeit und dass Jesus gesagt hatte: ›Weh aber den Schwangeren und den Stillenden zu jener Zeit!‹ Und dann erzählte sie uns, dass ihre Schande in Wirklichkeit ein Segen Gottes sei.«
»Ihre Schande?«
»Sie kann keine Kinder bekommen. Damals, als sie noch nicht errettet war, hat sie sich einmal mit Chlamydien-Bakterien angesteckt und ist davon unfruchtbar geworden. Sie hielt es für die Strafe dafür, dass sie eine Prostituierte war.«
Sie begann an ihrem Ehering zu nesteln. »Lange Zeit betete sie dafür, geheilt zu werden, sie wollte unbedingt ein Kind. Aber schließlich sah sie ein, dass ihre Unfruchtbarkeit eine Gabe war. Aus ihrer Schande wurde ihre Stärke. ›Weh aber den Schwangeren.‹ Sie würde nie ein Kind haben und konnte sich deshalb besser dem Kampf widmen.«
Sie blickte mich an. »Chenille behauptete, das sei Vorsehung. Sie sei auserkoren worden, den Widerstand gegen den Antichrist anzuführen. Spätestens da habe ich bemerkt, dass mit ihrem Ego etwas nicht stimmt: Sie dachte allen Ernstes, die Bibel redet von ihr persönlich.«
Ich wollte etwas sagen, doch Kevin kam mir zuvor. »Warten Sie, es wird noch besser.«
Alicia drehte weiter an ihrem Ehering, ihre Pupillen wirkten geweitet. »Ich hatte mittlerweile Gänsehaut. Wir sitzen rund ums Lagerfeuer, es ist stockdunkel, wir hören Tiere im Dunkeln heulen, und Chenille redet auf uns ein, dass das Ende naht, dass man die Zeichen überall erkennen kann, dass der Sturm kommen wird. Und dass es an uns ist, weil Jesus alleine das nicht bewältigen kann. Wir müssten aktiv werden.«
Aktiv werden. Mich begann es wieder zu jucken, denn ich fürchtete mich davor, was Alicia als Nächstes sagen würde.
Sie beugte sich vor. »Sie hat uns erklärt, wir müssten den Anstoß dazu geben.«
»Zum Ende?«
Sie nickte. »Der Herr würde ungeduldig werden. Er wäre des Wartens müde. Und wir müssten so schnell wie möglich die Bibel sprechen lassen.«
»Ich kann dir sagen, wer des Wartens müde ist«, mischte sich Kevin ein. »Chenille und Ice Paxton und all diese Leute bei den Standhaften mit ihren armseligen kleinen Leben, die sich endlich auch mal wichtig fühlen wollen.«
»Sie hat Ihnen also tatsächlich gesagt, dass die Standhaften am Tag des Jüngsten Gerichts selbst den Schalter umlegen wollen?«, fragte ich.
»Sie hat es nicht so formuliert, aber sie legte mir die Hand auf den Arm und sagte: ›Alicia, für dich wird es am schwersten, denn du weißt, dass Karina auf keinen Fall mit dir gehen und auch nicht tun kann, was du tun musst.‹ Ich saß völlig geschockt da. Und dann zitierte sie wieder aus der Bibel – wie sich die Sonne verfinstern wird und die Sterne vom Himmel fallen werden. Ich konnte es nicht fassen. Dachte sie wirklich, ich würde mein Baby alleinlassen und mit ihr zusammen losgehen und irgendwelche Dinge in die Luft sprengen oder -«
Sie presste die Finger gegen die Augen. »Bis wir nach Hause kamen, hatte ich Nesselausschlag, ich war ein völliges Wrack.«
»Und dann traten Sie aus der Kirche aus?«
»Nein.« Ihr Blick huschte über den Boden, über Kevin und landete schließlich bei mir. »Ich weiß, das hört sich jetzt verrückt an,
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