Gottesdienst
wurde, wenn was schiefging. Zu unser aller Wohl, genau. Diese ganze Kirche ist ein kranker Haufen von Schwindlern.«
»Es tut mir leid, dass es so schlimm für Sie war.«
»Tja, man lernt immer dazu im Leben.« Er strich seinen Schnurrbart glatt. »Wenn es also nicht Ihr Bruder war, wer hat Pastor Pete dann umgebracht?«
»Ich hab keine Ahnung. Und Sie?«
»Viele Leute haben diesen Mann gehasst. Die kann man gar nicht alle zählen.«
15. Kapitel
Die Überwachungskamera über dem Eingang der Börsenmakler Strider, Baines & Moore zeichnete es auf: Ein Mann auf Krücken geht am 21. Oktober um 12.32 Uhr durch die Tür. Es ist Jesse. Die Bildqualität ist nicht sehr gut. Obwohl er sich nur sehr langsam bewegt, ist das Schwarz-Weiß-Bild grobkörnig und verschwommen. Nachdem er sich knapp eine halbe Stunde mit seinem Börsenmakler unterhalten hat, hält die Kamera fest, wie er kurz vor eins das Gebäude wieder verlässt. Weniger als eine Minute später ist eine junge Frau zu sehen, die der Straße in der Richtung folgt, in die Jesse verschwunden ist. Sie ist nur wenige Sekunden im Bild, man kann gerade noch ihr pausbäckiges Gesicht und die große Schleife erkennen, die sie an ihrem Pferdeschwanz trägt.
Als Nächstes schaute Jesse bei seiner Bank vorbei, die mit besseren Kameras ausgestattet war. Man sieht, wie sich die Deckenbeleuchtung in Jesses Sonnenbrille spiegelt. Eine Bankangestellte in einem eng sitzenden braunen Kostüm begrüßt ihn und geleitet ihn zu ihrem Schreibtisch. Er spricht eine ganze Weile mit ihr. Er schlägt einen neuen Finanzplan für seine Hypothek vor, nachdem die Zinsen gesunken sind. Sie hört ihm aufmerksam zu.
Genauso aufmerksam hört das Mädchen mit den Pausbacken und dem Pferdeschwanz zu, das am Hauptschalter steht und wie in Zeitlupe einen Einzahlungsbeleg ausfüllt. Nach kurzer Zeit gesellen sich zwei weitere junge Frauen zu ihr, beide blond, beide mit glänzendem Lippenstift und identischen zurückgekämmten Haaren. Auch sie beginnen, langsam Belege auszufüllen. Alle drei beobachten jetzt Jesse.
Aus ihrem Geflüster und ihrer kaum verhohlenen Neugier zu schließen, haben sie anscheinend mitgekriegt, dass Jesse Geld besitzt – jedenfalls mehr, als ein Juniorpartner in einer Kanzlei verdient. Natürlich wissen sie nicht, dass Jesse von dem Fahrer, der ihn verletzt hat, eine Abfindung erstreiten konnte. Ein harter Kampf, denn der Unfallfahrer war ein Software-Millionär, der es keinesfalls an die Öffentlichkeit dringen lassen wollte, dass er auf dem Fahrersitz einen geblasen bekam, als er mit seinem BMW zwei Menschen rammte. Aber Jesse hatte ihn dazu gebracht, Schmerzensgeld zu zahlen, und zwar so viel, dass Jesse in seinem Leben niemals arm sein würde.
Die Bankangestellte schüttelt ihm die Hand, bevor er aufsteht und geht. Die Mädchen am Schalter warten, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hat und folgen ihm dann.
Der Tag von Peter Wyomings Beerdigung begann um Viertel vor vier in der Früh, als mein Mobiltelefon klingelte. Ich stolperte im Dunkeln aus Jesses Schlafzimmer, stieß gegen den Couchtisch und fiel fluchend aufs Sofa. Mein Vater war am Apparat: Philip James Delaney, Hauptmann der U.S. Navy im Ruhestand, rief aus Singapur an.
»Evan, die Leute von der Schifffahrtslinie haben gesagt, du hättest angerufen, es gäbe einen Notfall. Was ist los?«
Es tröstete mich, seine klare, tiefe Stimme zu hören. Ich fand es furchtbar, dass ich ihnen mit meinen schlechten Nachrichten den Urlaub verderben musste. Meine Eltern verstanden sich blendend – etwa zwei Wochen im Jahr, wenn sie sich in internationalen Gewässern befanden.
Er hörte mir schweigend zu. »Hast du gerade gesagt, Brian ist im Gefängnis?«
Ich erklärte, dass sie nach Hause kommen mussten, um sich um Luke zu kümmern, aber seine Antwort verpasste mir einen Tiefschlag.
»Wir können nicht kommen. Deine Mutter liegt im Krankenhaus, Dengue-Fieber. Aber mach dir keine Sorgen, Kit, du weißt, wie hart sie im Nehmen ist.« Er versuchte mich zu beruhigen, indem er mich bei meinem Kosenamen aus der Kindheit nannte. »Aber ich kann sie nicht Zehntausende Meilen von zu Hause entfernt allein lassen.«
Verdammt, mein Plan ging nicht auf, Luke würde bei mir bleiben müssen. »Ich werde kommen«, fuhr mein Vater fort, »aber es wird noch mindestens eine Woche dauern.« Er empfahl mir, möglichst gelassen und bei der Polizei am Ball zu bleiben – und zur Hölle mit dieser Tabitha.
Der Sonnenaufgang war
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