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Gottesdienst

Titel: Gottesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Gardiner
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aber Chenille war immer so gütig gewesen. Sie betete immer für Karina und interessierte sich dafür, ob es ihr besser ging. Sie fragte sogar nach, ob die Ärzte wirklich die modernsten Therapien angewandt hätten, vielleicht gäbe es ja neue Medikamente, die helfen könnten. Das ging mir nahe. Ich hielt sie wirklich für mitfühlend, dachte, dass sie mit ihrer Vergangenheit verstehen kann, was harte Zeiten sind.«
    Sie fixierte mich immer noch, offensichtlich in der Hoffnung, dass ich sie nicht für eine völlige Idiotin hielt.
    »Ich ging zu Pastor Pete. Ich dachte, er könnte mich beraten, mir irgendwie erklären, was Chenille gemeint hatte.«
    Kevin stand abrupt auf und starrte aus dem Fenster auf den rauchverfärbten Himmel.
    »Aber Pastor Pete bestätigte alles, was Chenille gesagt hatte. Mehr noch, er legte mir dar, Gott hätte mich auserwählt, dieses Opfer zu bringen, um meine Sünden aus der Vergangenheit wiedergutzumachen.«
    »Opfer«, fauchte Kevin. »Er sprach von meinem kleinen Mädchen.«
    Auch in Alicias Gesicht spiegelte sich jetzt Wut. »Für ihn war ganz klar, dass ich eine Menge Buße tun müsste, da ich früher schmutzig gewesen war. Das war das Wort, das er benutzte, schmutzig. Und deshalb sei auch Karina ›fehlerhaft‹ zur Welt gekommen.«
    Kevin drehte sich zu uns. »Und das war der Punkt, an dem wir zugesehen haben, dass wir Land gewinnen.«
    Der Rauch seiner Zigarette hing fast so dick in der Luft wie ihr Schmerz und ihr Unbehagen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Plötzlich hielt ein kleiner gelber Schulbus vor der Tür. Alicias Gesicht entspannte sich, und sie sprang auf. »Ah, jetzt lernen Sie Karina doch noch kennen.« Ich stand ebenfalls auf und entschuldigte mich dafür, dass ich so viel von ihrer Zeit in Anspruch genommen hatte. Dann gingen wir gemeinsam hinaus.
    Der Fahrer betätigte gerade einen elektrischen Lift und senkte damit Karinas Rollstuhl auf den Gehsteig ab. Karina trug Jeans, Reeboks und ein leuchtend pinkfarbenes Stricktop wie ihre Mutter. In ihrem brünetten Haar steckte ein gutes Dutzend winziger Haarklammern, wie kleine Schmetterlinge, die es sich auf ihrem Kopf bequem gemacht hatten. Als sie ihre Eltern entdeckte, winkte sie ruckartig.
    »Hallo, mein Liebling«, rief Kevin, und Alicia küsste sie und fragte, wie es in der Schule gewesen war. Karina wackelte mit dem Kopf und brachte ein »Gut« hervor. Ich wurde als Freundin auf Besuch vorgestellt, und Karina betrachtete mich mit freundlicher Neugier. Kurz darauf verabschiedete sich Alicia von mir. »Ich hoffe, dass wir Ihnen geholfen haben.« Kevin brachte mich zu meinem Auto.
    Er wartete, bis beide nach drinnen verschwunden waren. »Ich wollte ihnen noch ein paar Dinge sagen, die Alicia nicht unbedingt mitbekommen muss. Sie soll sich nicht noch mehr aufregen. Sie haben ja gehört, wie mitfühlend sich diese Leute gaben – aber zum Schluss habe ich das denen kein Stück weit mehr abgenommen. Und dieser Curt Smollek, der war mir total unheimlich. Haben Sie mal einen Jungen gesehen, der Spaß dran hat, Käfern die Beine auszureißen? So einer ist Curt Smollek.«
    Ich verzog das Gesicht.
    »Doch, wirklich. Und Chenille Wyoming. Alicia mochte sie, weil Chenille so viel hinter sich hatte und immer nett zu ihr war. Aber zu anderen Leuten war Chenille nicht so nett. Ich hab mal gesehen, wie sie die Majoretten geohrfeigt hat, als sie einmal einen Fehler bei ihrer Übung machten.« Er verschränkte die Arme. »Die Frau ist eine totale Heuchlerin. Der Spruch mit dem leichten Gepäck auf der Flucht, das ist alles nur Gerede. Sie ist abhängig von Junkfood. Können Sie mir vielleicht sagen, wie sie Überraschungsangriffe durchführen will, wenn sie ständig ihre Chipstüten und die Sprühsahne dabeihaben muss. Und außerdem …«, er drehte sich zum Haus um und senkte die Stimme, »außerdem glaube ich, sie ist immer noch auf Drogen.«
    »Ernsthaft?«
    »Kurz bevor wir ausgetreten sind, bat sie mich um einen Gefallen. Ob ich ihr ein bisschen was beschaffen könnte, wenn ich mit Karina das nächste Mal zum Neurologen ginge?«
    »Betäubungsmittel?«
    »Ja. Ich sagte, auf gar keinen Fall. Aber sie nervte mich immer weiter damit: Es wäre schließlich für unser aller Wohl. Sie könne das Zeug nicht selbst beschaffen, weil sie von der Regierung beobachtet werde. Völliger Blödsinn natürlich. Nicht nur, dass sie immer noch Drogen nahm, sie versuchte es auch noch so zu deichseln, dass ich derjenige war, der verhaftet

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