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Gottesopfer (epub)

Titel: Gottesopfer (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Pleva
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füllen Sie die Lungen mit Sauerstoff, halten Sie die Luft an. Zählen Sie bis drei, und atmen Sie langsam wieder aus.«
    Lina lauschte Doktor Ritters sonorer Stimme, bis die Zahl fünf erreicht war. Sie hatte die Augen geschlossen und sich zurückgelehnt. Sie wollte sehen, ob es auch bei ihr funktionierte.
    Â»Normalisieren Sie Ihre Atmung, und atmen Sie langsam und gleichmäßig ein und aus. Mit jedem Atemzug reisen Sie tiefer und tiefer. Ich zähle jetzt rückwärts von fünf bis eins. Mit jeder Zahl reisen Sie tiefer. Fünf, vier, drei, zwei, eins. Tiefer und tiefer. Immer tiefer.«
    Lina öffnete die Augen. Lohmanns Brust hob und senkte sich gleichmäßig. Sie war enttäuscht, bei ihr hatte sich gar nichts getan. Sie war so wach wie zuvor.
    Â»Orientieren Sie sich. Wo sind Sie gerade?«
    Lohmann antwortete mit ruhiger Stimme: »In einer Arena. Viele Leute gucken auf mich herunter.«
    Â»Wissen Sie, in welchem Land Sie sind?«
    Nach einer kurzen Pause antwortete Peter Lohmann: »In Spanien.«
    Â»Beschreiben Sie, wie die Menschen gekleidet sind. Was für Kleider tragen sie?«
    Â»Ich weiß nicht.«
    Â»Sehen Sie an sich herunter. Was haben Sie an?«

    Â»Ich trage einen grünen Anzug, er glitzert, ich habe einen Hut auf dem Kopf und ein Tuch in der Hand.« Es war, als hielte Peter Lohmann plötzlich den Atem an, dann sagte er mit ängstlicher Stimme: »O mein Gott, was für ein großes Tier. Ich hätte mich nicht auf diesen Hurensohn einlassen sollen.«
    Doktor Ritter überging die Angst seines Patienten und versuchte, ihn abzulenken. »Beschreiben Sie, wie es um Sie herum aussieht.«
    Â»Die Arena … o nein!« Lohmann stöhnte auf. »Er ist so groß. Ich habe Angst, furchtbare Angst. Alle starren mich an … Was für ein riesiger Stier.« Lohmanns Stimme zitterte.
    Â»Sind Sie allein, oder sind noch andere um Sie herum?«
    Â»Ich bin allein. Ganz allein«, setzte er leise hinzu, als könne er es selbst nicht glauben.
    Â»Denken Sie daran, Sie sind heute hier, weil Sie Probleme haben, Entscheidungen zu fällen«, sagte Doktor Ritter ruhig. Doch das schien Herrn Lohmann im Moment herzlich wenig zu interessieren, denn er hatte gerade ein viel größeres Problem. Er sah offenbar nur noch den gewaltigen Stier vor sich. »Ich habe am ganzen Körper eine Gänsehaut, wenn ich dieses Tier sehe. Ich stehe vor der Schutzwand.«
    Â»Was fühlen Sie gerade?«
    Â»Ich fühle mich schlecht. Kann mich vor Angst nicht mehr bewegen. Er wird mich umbringen, ich weiß es.« Lohmann stöhnte plötzlich. Seine Atmung ging jetzt schwer, und er keuchte. »Mein Gott, er hat mich erwischt. Er hat mich auf den Boden gerissen.« Ein mühsamer Atemzug entrang sich seiner Brust, als ob etwas Schweres auf seiner Lunge sitzen würde.
    Â»Er schleudert mich herum. Er hat mich auf seine Hörner genommen.« Nun kamen röchelnde Laute aus seinem leicht geöffneten Mund, sein Gesicht war schmerzverzerrt.
    Lina konnte kaum glauben, was sie da sah. Der Mann schien tatsächlich zu erleben, wovon er sprach. Aber nicht nur für Herrn Lohmann, sondern auch für Lina war das Ganze eine Art Rückführung. Sie erinnerte sich noch ganz genau, wie sie daserste – und letzte – Mal mit ihrem Vater in einer Stierkampfarena gewesen war. Noch heute sah sie alles vor sich: den Stier, der in die Arena hineingerannt kam und der versuchte, sich zurechtzufinden, den matador mit seiner leuchtenden pinkfarbenen capa , die zwei picadores , die mit Lanzen auf den Stier einstachen, um ihn unterwürfig zu machen, und schließlich den Moment, der Lina den Rest gegeben hatte, als der matador mit seinem Degen in den Nacken des Stieres stieß und dort das Blut wie eine Fontäne herausschoss. Lina war weinend aus dem ekstatischen Publikum geflohen und hatte seitdem nie wieder einen Fuß in eine Arena gesetzt. Bis heute konnte sie nicht verstehen, wie die Menschen von einem so bestialischen Spektakel fasziniert sein konnten.
    Â»Hat er Sie verletzt?«, fragte Doktor Ritter seinen Patienten.
    Â»Ja, ich habe hier eine große Wunde.« Peter Lohmann zeigte auf seine Brust.
    Â»Fühlen Sie Schmerzen? Was ist mit Ihrem Körper?«
    Â»Ich sehe meinen Körper von oben. Ich fühle nichts mehr. Er geht immer weiter weg … Ich sehe nur noch einen

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