Gottesopfer (epub)
Konto.«
»Schon irgendwelche Anhaltspunkte?«
»Ich denke, er kommt aus Hamburg. Das ist aber nur eine Vermutung, mehr kann ich noch nicht sagen.«
»Sehen Sie zu, dass Sie sich den Kerl greifen. Ich will Sie nicht weiter durch die Weltgeschichte fliegen lassen.«
Sam hob die rechte Augenbraue und klappte sein Handy zu. Die da oben hatten immer nur die Kosten im Kopf, nicht die Opfer, dachte er und schluckte seinen Ãrger herunter.
Als er das Schlafzimmer verlieÃ, trugen gerade zwei Männer stöhnend den schwarzen Plastiksack mit Birgit Eschbergers kopflosem Körper durch den engen Flur.
Für ihn stellte sich in diesem Moment nur eine Frage: Warum hatte der Täter die Frau geköpft und nicht wie die anderen verbrannt? Wieder einmal zeigte sich: Anders als Laien annahmen, handelten Serienmörder nicht immer nach dem gleichen Schema.
1985
Ein Sonntagmorgen im Mai. Der Nebel lag noch auf Feldern und Wiesen, als wären die Wolken vom Himmel gefallen und hätten sich einen Platz auf der Erde gesucht, um sie zu bedecken â oder um etwas zu verbergen. Vielleicht das schlechte Gewissen, das Gunther Rieckmann plagte, als er die kurvenreiche LandstraÃe entlangfuhr. Er drehte sich zu seinem Sohn um, der auf der Rückbank saà und kein einziges Wort während der ganzen Fahrt gesprochen hatte. Rieckmanns Augen füllten sich mit Tränen, beinahe hätte er die Klosteranlage Frauenberg verpasst, die plötzlich wie aus dem Nichts nach einer Kurve vor ihm auftauchte. Er blinzelte, um wieder sehen zu können, und wischte sich die Tränen, die über seine Wangen rollten, mit dem Handrücken vom Gesicht. Er sah noch einmal in den Rückspiegel, doch das kleine Gesichtchen zeigte keine Regung.
Rieckmann bog in die Auffahrt des Klosters ein und hielt vor einem Seiteneingang. Seine Schwester hatte ihm genau beschrieben, wo er halten sollte, und ihm gesagt, dass man sich dann um alles Weitere kümmern würde.
Er stieg aus dem Auto, holte die blaue Nylontasche aus dem Kofferraum und ging zu dem besagten Seiteneingang. Dann klopfte er und wartete. Als sich nichts tat, klopfte er erneut. Sein Sohn saà immer noch im Auto. Der Junge schaute zwar in seine Richtung, sah ihn aber nicht an. Sein Blick war leer. Endlich öffnete eine Frau in Schwesterntracht. Gunther ging zum Auto, öffnete die hintere Tür und reichte seinem Sohn die Hand, um ihm beim Aussteigen zu helfen. Doch der Kleine rutschte an der Hand seines Vaters vorbei und ging auf die Schwester zu, die mit unbarmherzigem Blick auf ihn wartete. Erst als er, ohne sich noch einmal umzusehen, in dem dunklen Gang verschwand und die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, schluchzte er auf.
Sein Vater legte die Hand an die geschlossene Tür, als könne erso die letzte Erinnerung an seinen Sohn besser in sich aufnehmen, eine letzte Verbindung schaffen. Ein letztes Mal bäumte sich sein Gewissen gegen die Entscheidung auf, die er um des Friedens willen getroffen hatte â und aus Angst, irgendwann wieder ein totes Kind zu finden, dieses Mal vielleicht von seiner Frau erschlagen. Nicht nur, dass sie den ganzen Tag die Familie mit ihrer Putzwut terrorisierte, nein, sie drohte auch in regelmäÃigen Abständen, sich umzubringen, schloss sich mit einem Messer im Badezimmer ein, um sich angeblich die Pulsadern aufzuschneiden, oder kletterte aufs Dach, um sich herunterzustürzen. Letztendlich war sie nie gesprungen, hatte das Messer nie angesetzt, was er manchmal bedauerte. Mehrfach hatte er ihr gesagt, dass sie ärztliche Hilfe brauche. Und jedes Mal hatte sie ihm geantwortet, nicht sie, sondern er sei krank und benötige Hilfe. Vielleicht hatte sie sogar recht damit, denn er war zu feige, um sie zu verlassen. Warum, wusste er selbst nicht.
Ihre unbändige Wut hatte schon einmal eine Katastrophe ausgelöst. Das sollte sich nicht wiederholen. Deshalb war es besser, den Kleinen zu seinem eigenen Schutz ins Kloster zu bringen.
Alles schrie in ihm, es nicht zu tun, seinen Jungen zurückzuholen, ihn in den Arm zu nehmen und mit ihm nach Hause zu fahren. Doch er hörte nicht auf seine innere Stimme, setzte sich in seinen Wagen und fuhr davon. Damit hatte er sich eine Qual auferlegt, die von diesem Moment an zentnerschwer auf seinem Herzen lastete.
11
HAMBURG
Punkt sieben Uhr klingelte der Wecker. Lina brauchte morgens nicht lange, um sich fertig zu machen. Sie duschte in
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