Gottesopfer (epub)

Blödsinn nicht länger anhören zu müssen. Dann fiel ihm ein, dass ihm Argault ja die Nummer eines Magiespezialisten, eines Völkerkundeprofessors in Frankfurt, gegeben hatte. Gerade als er den Zettel in seiner Tasche gefunden hatte, klopfte es an der Tür. Ein Kellner brachte die Rühreier, den Kaffee und eine Tageszeitung. Sam setzte sich an den kleinen Tisch am Fenster, und während er aß, blätterte er in der Zeitung – und blieb an einem Artikel hängen, der die Überschrift trug: »Die wundersamen Ratschläge der Fernseh-Hexen«. Er las weiter: »Hexen und Schamanen im Fernsehen ziehen den Zuschauern mit 1,99 Euro pro Minute für Telefonanrufe das Geld aus der Tasche und stürzen sie oft mit kuriosen Aussagen ins Unglück. Botschaften aus Glaskugeln, Stimmen von Engeln, Pendel oder Tarotkarten – der Esoterikmarkt boomt. Vor allem einsame Menschen …«
    Sam legte die Zeitung weg und dachte, wie typisch das war. Wollte man sich ein neues Auto kaufen, ein bestimmtes Modell, das man nur einmal gesehen hatte, konnte man sicher sein, dass man es plötzlich an jeder Ecke entdeckte. Das gleiche Phänomen erlebte er jetzt mit Hexen und Tarotkarten. Überall stieß er plötzlich auf Informationen über dieses Thema, oder waren Magieund Hexerei auch vorher schon so präsent gewesen, ohne dass er es gemerkt hatte?
    Er griff nach seinem Handy und wählte die Nummer, die ihm Argault gegeben hatte. Nachdem er es eine halbe Stunde lang immer wieder versucht hatte, aber jedes Mal nur das monotone Besetztzeichen an sein Ohr gedrungen war, fragte er sich allmählich, ob er die richtige Nummer hatte. Er entschied sich, sie ein letztes Mal zu wählen und es dann erst wieder am Nachmittag zu versuchen. Doch endlich ertönte das Freizeichen, und die Stimme eines Mannes meldete sich.
    Â»Dunbar?«
    Sam stellte sich kurz vor und erklärte sein Anliegen.
    Â»Mister O’Connor, …«, erst jetzt hörte Sam deutlich den englischen Akzent heraus, »… haben Sie irgendwo einen aufgezeichneten Kreis entdecken können? Etwa zwei Meter im Durchmesser mit Symbolen oder Namen? Oder vielleicht ein Dreieck?«
    Â»Nein.« Sam war sich sicher, dass er ein Zeichen von solchen Ausmaßen nicht übersehen hätte, und auch in den Aufzeichnungen war nichts davon zu lesen gewesen.
    Â»Pentagramme? Schwerter, Dolche, Messer oder einen Stab? Haben Sie Rauchgefäße gefunden?«
    Sam musste alles verneinen.
    Â»Wurden die Taten an bestimmten Orten verübt? Auf Friedhöfen, in Ruinen oder Kellern? Oder in den Nächten von Freitag auf Samstag oder von Montag auf Dienstag?«, fragte Professor Dunbar weiter.
    Sam dachte einen Augenblick nach. Birgit Eschberger und Gianna Lorenzo waren beide in einer Nacht von Samstag auf Sonntag ermordet worden. Beim Fall in Hamburg hatte er gar nicht nach dem Wochentag gefragt.
    Â»Nein, ich glaube nicht. Wie gesagt, Salz, Kräuter, Wachs und Tarotkarten. Das ist alles, was wir gefunden haben«, wiederholte Sam noch einmal, um sicherzugehen, dass diese Fakten nicht untergegangen waren.
    Â»Mit Sicherheit hat es dann nichts mit schwarzer Magie, einer höllischen Beschwörung oder dergleichen zu tun. Von Ritualen mit diesen Ingredienzien habe ich außerdem noch nie etwas gehört.«
    Â»Ja, das war’s eigentlich schon, Professor Dunbar. Haben Sie vielen …«, sagte Sam und wollte das Gespräch beenden.
    Â»Aber zu Tarot fällt mir einiges ein«, unterbrach ihn der Professor schnell. »Schreiben Sie mal T-A-R-O auf eine Kreislinie – es ergibt das Endloswort T-A-R-O-T. Wenn Sie die vier Buchstaben rückwärts lesen, heißt es O-R-A-T. Auf Latein: Er, sie oder es betet. Beginnen Sie bei R. Dann heißt es R-O-T-A, das Rad und zugleich das höchste römische Gericht in der katholischen Kirche. Und schließlich können Sie T-O-R-A daraus lesen: das heilige Buch des Judentums. Vielleicht hilft Ihnen das ein wenig weiter.«
    Sam bedankte sich abermals und legte auf. Er legte sich aufs Bett und starrte an die Decke auf den Rauchmelder, der direkt über ihm hing. Ihm schwirrte der Kopf. Kein Ritual, zumindest nichts, was mit irgendeiner Art von Magie zu tun hatte. Er war keinen Schritt weitergekommen. Und mit der Erklärung über Tarot hatte Professor Dunbar ihn nur verwirrt. Das Einzige, was bei ihm hängen geblieben