Gottesopfer (epub)
war, der gleich wieder am Hintereingang erschien, weil er noch eine Frage hatte. Er löschte sämtliche Kerzen und eilte in seine Privaträume. Er musste sicherst einmal setzen. Natürlich hatte er auch die andere Frau auf dem Foto wiedererkannt. Sie war in Begleitung einer jungen Frau gewesen, die vor längerer Zeit öfter seinen Gottesdienst besucht hatte. Sie hatten kurz miteinander gesprochen. Es ging um Abtreibung. Sie hatte ihn und die Kirche verflucht. Wenn er das gegenüber dem Polizisten erwähnt hätte, wäre er wahrscheinlich gleich verhaftet worden. Er vertrieb den Gedanken an die Begegnung und ging in die Küche, um sich etwas zu essen zu machen.
Sam stand unterdessen noch eine Weile drauÃen vor der Kirche, ohne sich zu bewegen. Er fror erbärmlich, der eiskalte Wind zog seine Muskeln zusammen. Die Schneeflocken waren jetzt so dick, dass sie wie Papierschnipsel aussahen, die vom Himmel fielen. Er beobachtete, wie sie zu seinen FüÃen eine weiÃe Schicht auf dem grauen Asphalt bildeten. Da entdeckte er zwischen den parkenden Autos in der kleinen StraÃe neben der Kirche einen Mercedes mit laufendem Motor, der kurz aufblinkte. Sam nickte zu dem Wagen hinüber und machte sich auf den Weg zu seinem eigenen Auto.
Im Mercedes saà ein Polizist. Denn Sam hatte, als er vorher den Gottesdienst verlassen hatte, Juri angerufen und ihn gebeten, die Kirche in Winterhude überwachen zu lassen. Er hatte das Gefühl, dass Pater Dominik irgendetwas mit den Morden zu tun hatte. Die Personenbeschreibung, die die Verkäuferin in Salzburg gegeben hatte â groà und dunkelhaarig â, würde auf ihn passen. Hatte die Frau nicht gesagt, dass die Kleidung irgendwie nicht zum Rucksack passte? Hatte sie vielleicht einen Pfarrer von hinten gesehen? Trugen die nicht oft dunkle Kleidung? Dann das Zucken in den Augen, als der Pater das Foto von Birgit Eschberger gesehen hatte, und die Bibeln, die bei zwei Opfern gefunden worden waren. Natürlich konnte sie der Mörder absichtlich dort gelassen haben, um den Verdacht auf jemanden aus der Gemeinde zu lenken. Das glaubte Sam jedoch nicht. Beweisen konnte er dem Pater noch nichts. Aber er war fest entschlossen, bald einen hieb- und stichfesten Beweis zu finden.
21
AMSTERDAM
In seiner Studentenzeit war Sam immer mal wieder mit seinem alten VW-Käfer nach Amsterdam gefahren, allerdings zum Vergnügen und nicht wie heute, um sich mit der Familie eines Mordopfers zu unterhalten. Nachdem er gestern von der Kirche in sein Büro im Hamburger Polizeipräsidium zurückgekehrt war, hatte er sofort einen Flug nach Amsterdam gebucht. Nun war er gespannt auf seinen niederländischen Kollegen, der ihn abholen wollte.
Van Houten stand am Ausgang der Ankunftshalle mit einem Schild, auf dem »Sam OâConnor« stand. Mit seinem grauen Anzug, dem hellblauen Hemd und dem dunkelgrauen, weià gepunkteten Schlips sah er eher wie ein Staubsaugervertreter aus als wie ein hartgesottener Polizist, der sich tagaus, tagein mit abartigen Morden beschäftigte. Er war mindestens eins neunzig, und sein Bauch hatte die AusmaÃe eines Medizinballs. Deshalb waren die unteren beiden Knöpfe des blauen Hemdes geöffnet oder gar nicht mehr vorhanden, zumindest bahnte sich dort ein weiÃes Feinrippunterhemd seinen Weg in die Freiheit. Sam musste sein Bild von einem mürrischen, missmutigen alten Holländer revidieren, denn van Houtens Gesicht war freundlich und hatte etwas Clowneskes an sich. Dazu trug vor allem die groÃe rot geäderte Nase bei, die â wie Sam vermutete â auf jahrelangen Alkoholkonsum zurückzuführen war. Die gelbblond gelockten Haare standen etwas wirr vom Kopf ab, so als ob der Holländer gerade erst aufgestanden wäre.
»Sam OâConnor? Willkommen in Amsterdam. Ich bin Maarten van Houten, sagen Sie einfach Maarten«, stellte sich der Holländer in flieÃendem Deutsch mit einem leichten holländischen Akzent vor, der Sam schon am Telefon aufgefallen war. Seine Hand verschwand in der riesengroÃen Pranke von van Houten,sodass er sich vorkam wie Jonathan Swifts Gulliver bei den Riesen.
»Ich dachte, wir bewegen uns auf die typisch holländische Art fort.« Sam war perplex, als der Holländer mit einem Schlüssel auf ein Fahrrad zuging, das an einem Laternenpfahl lehnte, und sich bückte, um das Fahrradschloss zu öffnen. »Sie setzen
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