Gottesopfer (epub)
sich einfach auf den Gepäckträger.«
Sam wollte gerade empört protestieren, immerhin war der Amsterdamer Flughafen Schiphol einige Kilometer von der Innenstadt entfernt, als van Houten plötzlich lachte. Sam schüttelte grinsend den Kopf, als er merkte, dass der Holländer ihn auf den Arm genommen hatte. »Na, kommen Sie, mein Auto steht da drüben auf dem Parkplatz.«
Amsterdam war das Venedig des Nordens. Die ganze Stadt vermittelte etwas Gemütliches mit ihren mittelalterlichen Grachten, den vielen Brücken und den herrschaftlichen Kaufmannshäusern mit den unterschiedlich geformten Giebeln, die Sam immer ein wenig an bunte Legohäuser erinnerten. Wenn er früher als Student der Rechtspsychologie nach Amsterdam gekommen war, hatte er sich mehr für die Coffeeshops als für die Architektur interessiert. Das waren noch Zeiten, dachte Sam, als wir völlig stoned durch die Amsterdamer StraÃen gewankt sind.
Da unterbrach van Houten seine Erinnerungen. »Den Freund von Catharina Kil konnte ich leider nicht erreichen. Die Mutter von Frau Kil hat mir erzählt, dass er sich selbst in eine Klinik eingewiesen hat. Armer Kerl, hat es nicht verkraftet, seine Freundin halb gespalten auf diesem Holzbock sitzen zu sehen. Aber Frau Kil erwartet uns bei sich zu Hause.«
Sam bedauerte, dass ein Gespräch mit Peter Weller, der den Tatort unmittelbar nach dem Mord betreten hatte, nicht möglich war. Manchmal waren solche Zeugen extrem wichtig, weil sie irgendetwas unbewusst wahrgenommen hatten, was den Beamten später als belanglos erschienen war. Schade war auch, dass Catharina Kils Loft wieder vermietet worden war und Sam somitihre Wohnung nicht mehr besichtigen konnte. Aber so war das nun einmal, wenn man alte Fälle aufrollte. Die Zeit blieb nicht stehen.
Van Houten und Sam fuhren in eine malerische StraÃe, in der sich ein Grachtenhaus an das andere reihte und es zahlreiche Läden, Cafés und Kunstgalerien gab.
»Hier ist es. Catharina Kil hatte hier ihre Galerie, im Haus der Eltern. Eine ziemlich wohlhabende Familie: Er ist Bankier, sie Innenarchitektin. Waren ziemlich schockiert, als sie von den Vorlieben ihrer Tochter hörten«, sagte van Houten und parkte seinen Wagen vor dem schwarz gestrichenen dreistöckigen Grachtenhaus der Familie Kil. Sam sah hinauf zum Giebel des Hauses, zu dem Hebebalken, über den man einst nur mit Körperkraft die Waren in die Speicherräume gehievt hatte, weil die schmalen Treppenhäuser zu eng gewesen waren. Plötzlich hatte er den Eindruck, dass sich hinter einem der obersten Fenster etwas bewegte â oder war es nur das Spiegelbild der kahlen Ãste des Baumes vor dem Haus, die sich im Wind hin und her bewegten?
Sie betraten das Haus durch eine schwarz-weiÃe Eingangstür und gingen eine steile, mit dunkelblauem Teppich ausgelegte Treppe hinauf, die in den oberen Wohnbereich führte. Dort wartete bereits eine elegant gekleidete Frau. Sie war das ältere Ebenbild ihrer Tochter. Die blonden Haare waren im Nacken zu einem strengen Dutt zusammengebunden, und ihre Augen hatten wie die ihrer Tochter die Farbe von Kornblumen. Sie war zierlich, beinahe zu dünn, fand Sam und betrachtete ihre hervorstehenden Schlüsselbeine, die sich unter dem Pullover deutlich abzeichneten. Der dezente orangebraune Lippenstift war auf ihren Kaschmirpullover abgestimmt. Sie zupfte sich eine Fussel von ihrer wollweiÃen Flanellhose und begrüÃte die beiden Männer mit einem aufgesetzten Lächeln. Dann sagte sie etwas auf Niederländisch, besann sich aber und setzte in tadellosem Deutsch hinzu: »Guten Tag, die Herren.«
Das helle, groÃzügige Wohnzimmer war spärlich, aber teuereingerichtet. In der Ecke stand ein alter Kachelofen, daneben eine hellblaue Sitzecke im Louis-XV-Stil mit goldener Umrandung und auf der anderen Seite eine barocke, ebenfalls hellblaue Ottomane. An den Wänden hingen Ãlgemälde in goldenen Rahmen, die Sam, auch wenn er als Kunstmuffel den oder die Maler nicht kannte, als wertvoll einstufte. »Bitte setzen Sie sich doch.« Frau Kil wies auf das Louis-XV-Sofa und setzte sich selbst auf einen der Stühle.
»Frau Kil, das ist Sam OâConnor, Sachverständiger der Mordkommission München. Er ist auf mehrere Fälle gestoÃen, die vielleicht in einem Zusammenhang mit dem Mord an Ihrer Tochter stehen. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, wenn er
Weitere Kostenlose Bücher