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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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einigermaßen
     gerade stehen und sogar ein bisschen gehen. Er schaffte es allein bis zum Abtritt und kehrte auch ohne Hilfe von dort zurück,
     es sah also ganz so aus, als würde er wieder gesund werden. Zumindest konnten ihn Scharley und Jan Čapek wegen des nach Troský
     führenden Geheimganges ins Gebet nehmen. Die Inquisitoren setzten strenge Mienen auf und überschütteten den Kranken mit Fragen,
     die ihn entlarven und als Betrüger zu erkennen geben sollten.
    »Was denn für ein Geheimgang?« Der ohnehin blasse Tauler wurde noch blasser, blinzelte, zeigte aber keine Furcht. »Was für
     ein unterirdischer Gang? Wovon redet ihr überhaupt?«
    »Wie wolltest du uns denn nach Troský bringen? Durch einen Geheimgang, nicht?«
    »Nein, verdammt noch mal! Ich weiß nichts von einem Geheimgang! Auf Troský habe ich, besser hatte ich einen Bekannten, einen
     Pferdeknecht   ... Ich habe damit gerechnet, dass er uns hilft   ... Er ist mir noch etwas schuldig   ... Er hätte uns den Zugang zur Burg erleichtert oder ausspioniert, was wir dazu brauchen   ... Worum geht es hier eigentlich, zum Teufel noch mal?«
    Scharley und Čapek antworteten nicht. Sie stürzten hinaus, rannten die Treppen hinunter und erteilten noch im Laufen ihre
     Befehle.
     
    Sie hatten die Pferde fast müde geritten, um noch vor Sonnenuntergang anzukommen. Sie waren fast der ganzen Jitschiner Straße
     gefolgt und waren nun nicht weit von Burg Kost entfernt. Sie hatten zwei Kaufmannszüge getroffen, einen Kesselschmied mit
     einem Wagen voller Kupfergefäße und eine Truppe |281| von Wanderakrobaten. Einen Bettler. Und ein Weib mit einem Korb voller Gänschen.
    Keiner von ihnen hatte einen Poeten aus der Champagne gesehen. Auch niemanden, der der Beschreibung entsprach. Weder heute
     noch sonst irgendwann.
    Reynevan war verschwunden, als hätte die Erde ihn verschluckt.
    Scharley drängte, sie sollten Vojta Jelínek und seinem Trupp nachjagen und ihn fragen, um zu erfahren, was geschehen war,
     wo sie Reynevan gelassen hatten. Jan Čapek war damit nicht einverstanden, er widersetzte sich ganz entschieden. Jelíneks Trupp
     habe mehrere Stunden Vorsprung, sie würden ihn nicht einholen, erwiderte er. Die Nacht komme heran. Und die Gegend sei gefährlich.
     Viel zu viele katholische Burgen befänden sich in der Nähe. Viel zu nahe für einen Trupp, der nur zwanzig Reiter zähle.
    Sie ritten denselben Weg zurück und sahen sich aufmerksam um. Um einen einsamen Reiter zu entdecken. Und dann, als es schon
     ganz dunkel war, um den Schein eines Biwakfeuers zu entdecken.
    Sie sahen nichts.
    Von Reynevan fehlte jede Spur.
     
    Das Erste, was er spürte, als er wieder zu sich kam, war beißende Kälte, die umso schlimmer war, weil er sich nicht bewegen
     konnte, er konnte sich weder zusammenrollen noch sich krümmen, um wenigstens ein Restchen Wärme im Körper zu behalten. Er
     war wie gelähmt.
    Dann erwachten allmählich seine anderen Sinne und halfen ihm, die Lage zu erkennen. Seine Augen ließen ihn oben am dunklen
     Oktoberhimmel die Sterne sehen – den Polarstern, den Kleinen und den Großen Bären, Arktur im Sternbild Bootes, die Wega, die
     Zwillinge, den Steinbock. Den Geruchssinn attackierte ein Gestank, schrecklich und unerträglich trotz der Kälte und der Tatsache,
     dass er unter freiem Himmel und auf |282| der nackten gefrorenen Erde lag. Das Gehör registrierte verzweifelte Schreie, die aus der Nähe zu kommen schienen. Und Gelächter.
    Hals und Nacken schmerzten fürchterlich, dennoch warf er sich hin und her – er hatte begriffen, dass die Unmöglichkeit, sich
     zu bewegen, daher rührte, dass mehrere Körper auf ihm lagen und dass eben diese Körper den für seine Nase unerträglichen Geruch
     verströmten. Die Körper reagierten auf seine Bewegungen dadurch, dass sie noch schwerer und fester auf ihm lasteten. Jemand
     wimmerte, jemand stöhnte, jemand rief nach Gott. Jemand fluchte.
    Von der linken Seite her – das heißt von der Wega und dem Sternbild Leier her – erhellte ein flackerndes Feuer das Dunkel
     der Nacht. Der Geruch nach Rauch durchdrang endlich die Ausdünstungen menschlicher Körper. Von eben dort, vom Feuer her, drangen
     jene verzweifelten Schreie, die jetzt in Wimmern und krampfhaftes Schluchzen übergingen.
    Er warf sich erneut hin und her, bekam mit größter Anstrengung eine Hand frei und stieß damit heftig einen Körper von sich,
     einen weiblichen Körper und keineswegs mager. Er fluchte und zog die

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