Gottesstreiter
Knie an.
»Hört auf, Herr«, flüsterte jemand dicht neben ihm. »Tut nichts. Es geschieht ein Unglück, wenn sie’s hören ...«
»Wo bin ich?«
»Leise. Wenn sie uns hören, schlagen sie ...«
»Wer?«
»Sie. Die Martahúz ... Bei Gott, seid still ...«
Schritte. Holz knarrte. Der Schein einer Fackel. Gelächter.
Er drehte den Kopf ein wenig und schaute.
Der Fackelträger hatte ein stark mit Akne überzogenes Gesicht. Fast keine Stirn. Die schwarzen struppigen Haare schienen ihm
fast aus den Augenbrauen und der Nasenwurzel zu wachsen. Reynevan hatte ihn schon früher gesehen.
Da waren noch drei andere. Einer trug eine Laterne, und in der anderen Hand hielt er noch etwas. Zwei schleppten einen |283| minderjährigen Jungen, den sie unter den Achseln gepackt hatten. Der Junge schluchzte.
Sie warfen ihn brutal auf die Erde, bückten sich und leuchteten auf die am Boden Liegenden. Reynevan konnte jetzt sehen, dass
sie sich im Innern eines mit Pfahlwerk umgebenen Pferches befanden. Sie suchten sich einen aus. Einer schrie schrill und verzweifelt
auf, einer wimmerte, einer rief immer wieder Gott und die Heiligen an. Ein Stock pfiff durch die Luft, abgerissene Schreie
übertönten die anderen Stimmen. Sie schleppten einen Jungen aus dem Pferch, noch jünger als der vorige, er weinte und flehte
um Erbarmen. Kurz darauf ertönte von jenseits des Pfahlwerks sein gellender Schrei. Und das Gelächter der Martahúz.
Reynevan fluchte, hilflos ballte er seine Hände zu Fäusten zusammen. Mich hat’s erwischt, dachte er. Und wie es mich erwischt
hat.
Ihm war alles wieder eingefallen.
Er hatte bereits eine böse Ahnung gehabt, als an einer Weggabelung jener Aknegesichtige mit den Haaren, die aus den Brauen
herauszuwachsen schienen, auf einem struppigen Schecken aus dem Wald geritten kam. Als dieser lächelte und dabei seine schwarzen
Zahnstummel zeigte. Die böse Ahnung war zur Sicherheit geworden, als der Aknegesichtige den Hauptmann Vojta Jelínek begrüßte
und ihn, Reynevan, mit einem heuchlerischen, abschätzenden Blick taxierte. Hauptmann Vojta Jelínek sah ihn ebenfalls an, eine
Grimasse der Verachtung ziehend, die mehr als deutlich sagte: »Du bist uns so leicht wie ein Kind ins Netz gegangen, du vertrauensseliger
Dummkopf, du.«
Reynevan tat, als ordne er seine Zügel, gab seinem Pferd plötzlich die Sporen und preschte mit einem Satz in den Wald. Sie
hatten dies vorausgesehen. Sie versperrten ihm mit ihren Pferden den Weg, stießen ihn aus dem Sattel, sprangen auf ihn zu
und drückten ihn zu Boden. Jelínek – die Pest sollte ihn holen – blickte lächelnd von seinem Pferd auf ihn herab.
|284| »Das ist irgendein Wichtiger«, sagte er zu dem Aknegesichtigen, »irgend so ein Wichtiger, kein Geschmeiß. Zehn Schock Groschen
gibst du mir für den, Hurkoveč.«
»Aber sicher«, antwortete der Aknegesichtige. Seine Akne blühte überall, sogar auf den Lidern und den Lippen, ja, er hatte
selbst auf den Eiterpusteln noch Pusteln. »Ein Wichtiger, das glaubst du doch selbst nicht! Der Kleidung nach zu schließen,
ist das ein beschissener Künstler. Wie viel ich für den kriege? Das weiß nur ‘s Herrgöttel. Ich geb zwei Schock. Was? Zu wenig?
Dann fick dich doch selbst, Jelínek. Lass ihn umbringen und in den Büschen mit Laub zudecken ...«
»Gib mir acht! Das ist ein wichtiger Kerl, sag ich dir!«
»Drei.«
»Du verdienst eh schon genug an mir. Wie viele habe ich dir schon geliefert? Ganze Dörfer habe ich dir verkauft, du alter
Geizkragen!«
»Fünf.«
»Ha! Von mir aus, mein Verlust! He, was windet der sich da so? Würgt ihn ein bisschen! Aber vorsichtig, mit Gefühl!«
Reynevan versuchte sich loszureißen. Vergeblich. Sie schlangen ihm einen Riemen um den Hals. Sie würgten ihn, mit Gefühl,
ein paar Mal traten sie ihm auch gefühlvoll in den Bauch. Er erhielt einen Schlag auf den Kopf. Verlor das Bewusstsein. Für
lange Zeit.
Hinter dem Pfahlwerk, am Feuer, schrie und schluchzte der vergewaltigte Junge. Der, den sie zuvor vergewaltigt hatten, wimmerte
und weinte.
»Was werden sie mit uns machen?«
»Sie werden uns verkaufen«, antwortete sein Nachbar, der ihn vorhin gewarnt und ermahnt hatte, leise zu sein, ebenfalls flüsternd.
»Sie verkaufen uns, zu unserem Verderben. Das sind Martahúzen, Herr. Menschenräuber.«
Gegen Morgen presste und drückte sich Reynevan mit aller Kraft an die anderen, die sich in dem keuchenden,
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