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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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stöhnenden |285| und zitternden Menschenhaufen aneinander schmiegten. Er empfand keinen Abscheu. Wichtiger war ein wenig Wärme. Sogar stinkende.
     Außerdem war er nicht mehr wert als diejenigen, die stanken. Er war kaum fünf Schock Prager Groschen wert. Also ungefähr zehn
     ungarische Dukaten. Genauso viel wie etwa zwei Kühe plus ein Fellmantel und ein Viertel Bier als Draufgabe.
    Der Tagesanbruch brachte Lärm, Geschrei, Flüche, wüste Beschimpfungen, Tritte, Peitschenschläge. Die im Pferch Zusammengetriebenen
     wurden einzeln durch eine Öffnung im Pfahlwerk hinausgetrieben, und man legte ihnen Fesseln an, Bretter mit Öffnungen für
     Hals und Hände. Sie wurden zu einer Marschkolonne zusammengestellt, wobei man nicht mit Schlägen sparte.
    Reynevans Brett stank nach Erbrochenem. Das war nicht verwunderlich, denn es trug noch eingetrocknete Reste davon.
    Der Aknegesichtige im Sattel seines struppigen Schecken pfiff auf den Fingern. Die Peitschen knallten. Die Kolonne setzte
     sich in Bewegung. Menschen beteten laut. Pfeifend und knallend sausten Peitschenhiebe herab.
    Der Albtraum hatte aber auch seine guten Seiten. Der von den Peitschen erzwungene Laufschritt erwärmte sie.
     
    Dem Stand der Sonne nach zu urteilen, marschierten sie nach Osten. Sie wurden jetzt nicht mehr ganz so hart angetrieben wie
     bei Tagesanbruch, nicht mehr zum Laufen gezwungen. Aber keineswegs aus Mitleid. Zwei Personen, ein alter Mann und eine ältere
     Frau, waren gestürzt und konnten sich nicht mehr erheben, obwohl die Menschenhändler nicht mit Schlägen und Fußtritten sparten.
     Die Kolonne wurde weitergetrieben, Reynevan konnte nicht sehen, was mit dem Paar geschah, aber er hatte die bösesten Vermutungen.
     Er hörte die erboste Stimme des Aknegesichtigen, der Hauptmann Jelínek bezichtigte, ihm auf ehrlose Weise nur »alte Leichen«
     geliefert zu haben, und seine Untergebenen beschimpfte, ihm »die Ware zu |286| verderben«. Infolgedessen wurde ihnen gestattet, langsamer zu gehen. Und es wurde auch weniger geschlagen.
    Reynevan hinkte, er hatte Blasen an den Füßen, schon lange hatte er keine so große Strecke mehr zu Fuß zurückgelegt. Zu seiner
     Rechten keuchte ein junger Mann, in etwa so alt wie er, in seinem Brett. Er war entschieden weniger abgestumpft als die anderen
     und hatte sich schon in der Nacht in abgerissenen Sätzen als Tischlergeselle aus Jarom ěř vorgestellt, auf Wanderschaft befindlich,
     was bedeutete, dass er sein Handwerk zu vervollkommnen gedachte. Auf dem Weg von Jitschin nach Zittau hatten ihn die Martahúzen
     überfallen und gefangen genommen. Seine Tränen hinunterschluckend, bat der Geselle Reynevan, falls es diesem durch ein Wunder
     gelänge, freizukommen, möge er Elsbeth, die Tochter von Meister Ružižka, dem Schneider von Jarom ěř, von seinem Schicksal
     benachrichtigen. Er versprach, dass er, falls er davonkäme, seinerseits eine ihm genannte Person über das Schicksal Reynevans
     unterrichten wolle. Reynevan nannte niemanden. Er hatte kein Vertrauen. Und er glaubte nicht an Wunder.
    Sie zogen durch Schluchten, Wälder, auf Wegen unter schattigen Buchen und grünen Fichten, durch Ahornwäldchen, Wälder aus
     Eschen und Ulmen. Sie zogen an herbstlich schimmernden Birken am Wege vorbei, deren Blätter wie der Goldschmuck von Königinnen
     glänzten. Ein Anblick, der wahrhaft das Auge beglücken und die Seele mit Freude erfüllen konnte.
    Aber er beglückte und erfüllte niemanden.
     
    Die Sonne hatte schon ein großes Stück ihres Weges am Zenit zurückgelegt, als von der Spitze der Kolonne Rufe und Gewieher
     zu hören waren. Reynevans Herz machte einen Sprung, als er die Bewaffneten mit Helmen, spitzen Kapuzen und in kirschfarbenen
     Tuniken erblickte. Umso schmerzlicher und unangenehmer berührte ihn der Anblick des Aknegesichtigen, der mit überschwänglicher
     Geste dem Anführer der bewaffneten zehn Männer die rechte Hand drückte.
    |287| Die Begegnung dieser offensichtlich miteinander Bekannten fand an einer Wegkreuzung statt. Von hier ab trieb die verstärkte
     Eskorte die Kolonne nach Süden. Bald endete der Wald, die Bäume blieben hinter ihnen zurück, ein sandiger Weg wand sich zwischen
     Felsen von bizarren Formen dahin. Die hoch stehende Sonne schien zwischen hoch im Blau dahinziehenden Haufenwolken herab.
    Plötzlich kam das Ziel ihres Marsches in Sicht. So klar und deutlich, als wäre es zum Greifen nah. So selbstverständlich.
    »Ist das etwa   ...«,

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