Gottesstreiter
Junge? Dass du unschuldig bist wie ein Kind? Dass dich nichts mit Katharina von Biberstein verbunden hat? Selbst wenn
sie dir das Fell über die Ohren ziehen und dir die Knochen brechen sollten, würdest du dich nicht zu dem knuddeligen Kerlchen
bekennen, das auf Stolz an Katharinas Rockzipfel hängt?«
»Ich fühle mich dafür verantwortlich.« Reynevan spürte, wie er rot wurde, und das machte ihn ein bisschen wütend. »Ja und
noch einmal ja, ich fühle mich verantwortlich dafür. Aber nicht schuldig. Aber wie ich bereits gesagt habe, ich möchte nicht
darüber sprechen. Wir können über etwas anderes sprechen. Zum Beispiel über die Landschaft. Dieses Flüsschen hier ist die
Pilow, und dort ist das Eulengebirge.«
Sie lachte laut auf. Er seufzte insgeheim vor Erleichterung, hatte er doch eine andere Reaktion befürchtet.
»Ich versuche nur, die Motive deines Handelns zu begreifen«, sagte sie. »Ich bin neugierig, das ist so eine Schwäche der weiblichen
Natur. Ich erfahre gern etwas, verbinde gern Ursache und Wirkung und versuche zu verstehen. Das bereitet mir Vergnügen. Bereite
mir also das Vergnügen, Reinmar. Wenn nicht aus Sympathie, dann wenigstens aus Höflichkeit.«
»Herrin ... Ich bitte Euch sehr ...«
»Da ist nur noch eine Sache, ein Problem. Beantworte mir also nur eine Frage. Wie kommt es, dass du keine Angst vor dem Kerker
auf Stolz hast? Vor Bibersteins Zorn? Wo du doch seine einzige Tochter vergewaltigt hast!«
»Wie bitte?«
»Wieder die heilige Entrüstung? Du hast Katharina von Biberstein |395| mit Gewalt genommen. Gegen ihren Willen. Das wissen alle.«
»Alle?« Er drehte sich ruckartig im Sattel um. »Das heißt, wer?«
»Sag du es mir.«
»Ich habe nicht damit angefangen.« Er spürte, wie ihm das Blut wieder zu Kopf stieg. »Bei aller Hochachtung, aber ich habe
dieses Gespräch nicht angefangen.«
Sie schwieg lange.
»Die Tatsachen, die allen bekannt sind, sehen so aus«, begann sie unverhofft zu erzählen, »vor zwei Jahren, am vierzehnten
September in den frühen Nachmittagsstunden, haben du und deine Kumpane in den Gallenauer Wäldern einen Tross überfallen, in
dem die hochwohlgeborene Katharina von Biberstein, die Tochter von Johann von Biberstein auf Stolz, und Jutta de Apolda, die
Tochter des Mundschenks Bertold de Apolda auf Schönau, reisten. Ihr habt den Wagen geraubt, in dem die Fräulein gereist sind.
Die Verfolger, die euch wenige Stunden später nachsetzten, haben das Gefährt gefunden. Von den Fräulein fehlte jede Spur.«
»Wie bitte?«
»Beide Fräulein waren verschwunden, sage ich.« Die Grüne Dame sah ihn durchdringend an. »Hast du etwas hinzuzufügen? Einen
Kommentar?«
»Nein. Nichts.«
»Die Verfolger sind eurer Spur gefolgt, haben sie aber an der Neiße verloren, und es ging schon auf den Abend zu. Sie entschlossen
sich daher, zu Pferd nach Stolz zurückzukehren. Die Nachricht traf noch vor der Nacht ein, Herr Johann von Biberstein bot
alle seine Leute auf, aber vor der Morgendämmerung konnte er nichts Sinnvolles unternehmen. Bevor sich seine Leute endlich
bewaffnet und versammelt hatten, läuteten in Kamenz die Zisterzienser schon zur Sexta. Und als sie zur None läuteten, erschienen
plötzlich im Tross eines armenischen Händlers beide Fräulein, Katharina und Jutta, auf |396| Stolz. Beide unversehrt, gesund und auf den ersten Blick unbefleckt.«
»Im Endeffekt«, fuhr sie fort, als Reynevan schwieg, »war dies eine der kürzesten Entführungen in der Geschichte Schlesiens.
Die so gewöhnliche Affäre langweilte alle schnell, und man vergaß sie. Etwa bis Mariä Lichtmess. Das heißt bis zu dem Zeitpunkt,
als sich der gesegnete Leibeszustand Katharina von Bibersteins nicht länger verbergen ließ.«
Reynevan bewahrte seine steinerne Miene. Die Grüne Dame beobachtete ihn unter ihren langen Wimpern hervor.
»Erst jetzt wurde Johann von Biberstein richtig wütend«, erzählte sie weiter. »Er setzte eine Belohnung aus. Hundert Silbermark
für denjenigen, der den Entführer aufspürt und ausliefert; sollte dieser selbst in die Entführung verwickelt sein, wurde ihm
zusätzlich noch Straffreiheit zugesichert. Herr Johann nahm sich auch sein Töchterchen vor, aber Katharina schwieg beharrlich:
Sie wisse von nichts, könne sich an nichts erinnern, sie sei ohnmächtig gewesen und ähnliches Blabla. Beharrlich schwieg auch
Jutta de Apolda, die ebenfalls im Verdacht stand, ihr Jungfernkränzlein
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