Gottesstreiter
nicht durch Magie. Nie, niemals! Glaubt mir, Herrin!«
»Ich glaube dir. Obwohl es mir schwer fällt ... Du hast die Augen eines Tarquinius, mein schöner Jüngling.«
»Ihr verspottet mich.«
»Keineswegs. Manchmal braucht man, wenn man sich jemanden zu Willen machen möchte, weder Gewalt noch Magie.«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Ich bin ein Rätsel. Löse mich.«
»Herrin ...«
»Sag nichts. Trink!
In vino veritas.
«
Das Feuer im Kamin war fast erloschen, nur noch ein wenig rote Glut zeugte von seinem Leben. Die Grüne Dame stützte den Ellenbogen
auf den Tisch und legte das Kinn auf ihren Handrücken.
»Morgen kommen wir nach Stolz«, sagte sie, mit tiefer und verführerischer Stimme. »Wie man es auch dreht und wendet, der morgige
Tag, und das weißt du nur zu gut, wird für dich ... Wird ein wichtiger Tag sein. Was geschehen wird, wissen wir nicht und können wir auch nicht voraussehen, denn das Schicksal
ist unergründlich. Aber ... Es kann doch sein, dass die heutige Nacht ...«
|402| »Ich weiß«, antwortete er, als sie zu reden aufgehört hatte. Dann stand er auf und verneigte sich tief. »Ich bin mir über
die Bedeutung dieser Nacht im Klaren, schöne Herrin. Ich weiß wohl, dass dies meine letzte sein kann. Deshalb möchte ich sie ... im Gebet verbringen!«
Sie schwieg eine Zeit lang und trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Sie blickte ihm direkt in die Augen. So lange, bis
er die seinen niederschlug.
»Im Gebet!«, wiederholte sie mit einem Lachen, und es war ein Lachen, das einer Lilith würdig gewesen wäre. »Ha! Das ist auch
ein Mittel gegen sündige Gedanken ... Was soll’s, dann werde auch ich die Nacht im Gebet zubringen. Und mit Nachdenken. Über die Veränderungen. Darüber, wie
rasch
transit gloria.
«
Sie erhob sich, und er warf sich auf die Knie. Unvermittelt. Sie strich über sein Haar, dann zog sie sogleich die Hand zurück.
Ihm schien, als höre er einen Seufzer. Aber das hätte auch gut sein eigener sein können.
»Schöne Herrin«, er senkte den Kopf noch tiefer, »meine Grüne Dame. Deine Glorie wird nie vergehen. Weder deine Glorie noch
deine Schönheit, die ihresgleichen sucht. Ach ... Wenn uns das Schicksal unter anderen Umständen zusammengeführt ...«
»Sag nichts«, gurrte sie. »Sag nichts mehr und geh. Ich gehe auch. Ich muss rasch anfangen zu beten.«
Am nächsten Tag erreichten sie Stolz.
|403| Vierzehntes Kapitel
in dem auf Schloss Stolz Verschiedenes ans Tageslicht kommt. Darunter auch, dass die Falschheit der Frauen und Wolfram von
Pannewitz an allem schuld sind.
J ohann von Biberstein, der Herr auf Schloss Stolz, ähnelte seinem Bruder Ulrich wie ein Zwilling dem anderen. Man wusste zwar, dass
der Herr auf Stolz wesentlich jünger war als der Herr auf Friedland, aber das fiel nicht weiter auf. Das lag an seiner ritterlichen
Erscheinung: Er war von Gestalt ein Titan, von der Erscheinung her ein Heros, und er hatte Schultern, die eines Ajax würdig
gewesen wären. Und um den Vergleich mit Homers Gestalten vollständig zu ziehen: Beide Herren von Biberstein beschworen mit
ihrem Antlitz und mit ihren griechischen Nasen das Bild Agamemnons, des Atriden und Herrschers von Mykene, herauf. Würdevoll,
stolz, edel, jeder Zoll ein Herr – noch dazu einer, der an diesem Tag nicht bester Laune war.
Johann von Biberstein hatte in der Rüstkammer des Schlosses auf sie gewartet, einem hoch gewölbten, sehr kalten und nach Eisen
schmeckenden Raum.
Er war ganz entschieden nicht bester Laune.
»Alle hinaus!«, kommandierte er sofort mit einer Stimme, dass die Wurfspieße und Schwerter in ihren Halterungen an der Wand
klirrten. »Hier werden Familienangelegenheiten besprochen! Alle hinaus, habe ich gesagt! Euch, edle Gattin des Mundschenken,
betrifft das selbstverständlich nicht. Ihr seid uns teuer, und Eure Anwesenheit ist erforderlich.«
Die Grüne Dame neigte leicht den Kopf und zupfte an ihrer Manschette, mit dieser Geste bekundend, dass sie nicht sonderlich |404| interessiert sei. Reynevan glaubte ihr nicht. Sie war interessiert. Sehr sogar.
Der Herr auf Stolz kreuzte die Arme vor der Brust. Vielleicht war es Zufall, aber er stand so, dass sich der Schild mit dem
roten Hirschgeweih direkt über seinem Kopf befand.
»Mich muss wohl der Teufel geritten haben«, sagte er und blickte auf Reynevan herab, wie weiland Polyphem auf Odysseus und
seine Gefährten herabgeblickt
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