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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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krachend ein Brett ab.
    »Klettert hier herein! Los, schnell!«
    Es dauerte ein wenig, bis Reynevan begriff, dass der Franzose ihn anwies, in den Abtritt zu steigen, durch das Abtrittsloch
     geradewegs hinunter in die entsetzlich stinkende Kloake. Scharley war unter gluckernden Geräuschen bereits darin verschwunden.
     Besser in die Scheiße als in die Folterkammer, dachte Reynevan. Er holte tief Luft. Unten nahm ihn ein angenehm warmer Brei
     in Empfang. Und eine große Welle schwappte auf, als Samson nach unten sprang. Der Gestank erstickte Reynevan fast.
    »Hier entlang, pfui   ...!« Bisclavret spuckte aus, was ihm die Welle in den Mund gespült hatte. »In den Kanal. Haltet den Kopf nach oben. Das ist
     nur am Anfang so schlimm. Später wird die Öffnung größer.«
    Die Schritte der Verfolger kamen wieder näher. Reynevan hielt sich die Nase zu und tauchte unter.
    Daran, auf allen vieren durch den steinernen Kanal gekrochen zu sein, wollte er sich später lieber nicht erinnern, er verbannte
     dies aus seinem Gedächtnis. Der Durchmesser des gemauerten Gewölbes war bald größer, bald kleiner, mal hatte man den Mund
     über, mal unterhalb der flüssigen Scheiße. Hände und Knie steckten in dem, was in einer dicken Schicht den Boden überzog,
     nämlich Scheiße von der Konsistenz von Ton, die hier schon seit sechzig Jahren lagerte, denn wie Reynevan später erfuhr, reichten
     die Anfänge der Glatzer Kanalisation in das Jahr 1368 zurück.
    |540| Wie lange diese Höllenfahrt andauerte, war schwer zu sagen. Wie es schien, eine halbe Ewigkeit. Aber plötzlich verspürten
     sie die betörende Freude frischer Luft und die pure Lust an frischem Wasser, die ihnen fast die Tränen in die Augen trieben
     – direkt aus dem Abflusskanal waren sie in den Mühlgraben gefallen. Von dort aus war es nicht mehr weit bis zur Neiße, in
     deren rascherem Lauf sie sich gründlicher abwaschen konnten. Sie warfen sich ins Wasser und schwammen hinüber zum rechten
     Ufer. Der Brand tauchte die Wasseroberfläche in Rot und Gold, in einem großen Feuer verbrannten die Schuppen und Buden im
     Fischerdorf und an der Viehtrift. Reiter jagten vorüber.
    »Verdammt noch mal«, sagte Scharley mit müder Stimme. »Ich hatte ein Hefeteilchen in der Tasche   ... Das muss mir herausgefallen sein. Nun wird es nichts mit dem Frühstück   ...«
    »Wer hat uns verraten? Trutwein?«
    »Ich glaube nicht«, Reynevan setzte sich im flachen Wasser auf und freute sich an der ihn umspülenden Strömung, »die Bombe,
     die ich gezündet habe, verdanke ich ihm   ... Er hat mir ein bisschen Öl dafür gegeben   ... Er hat es in der Kirche gestohlen   ...«
    »Öl in der Kirche?«
    »Für die Letzte Ölung.«
    Auf dem Ufersand erklang dumpf das Getrappel von Hufen.
    »Vogelsang! Es tut gut, euch am Leben zu sehen, ihr Hundesöhne!«
    »Řehors! Ha! Und Brázda von Klinštejn?«
    »Du lebst, Reynevan! Grüß dich, Scharley! Samson, sei gegrüßt!«
    »Berengar Tauler, du hier?«
    »Höchstpersönlich! Ich bin von Tábor zu den Waisen übergewechselt. Aber ich bin immer noch der Meinung, dass Kriegführen eine
     Sache ohne Zukunft ist   ... Verdammt noch eins, ihr stinkt aber gewaltig nach Scheiße   ...«
    |541| »Auf die Pferde«, befahl Brázda von Klinštejn, das Gespräch unterbrechend, »Královec und Prokupek wollen euch sehen. Sie warten.«
     
    Der Stab der Waisen hatte sich in der Vorstadt Neulende in einer Wirtschaft eingefunden. Als Reynevan von Brázda und Řehors
     hereingeführt wurde, trat Stille ein. Er erkannte den Anführer der Feldtruppen der Waisen, Jan Královec von Hrádek, einen
     Sauertopf und Bösewicht, der aber als fähiger Heerführer anerkannt wurde und von seinen Leuten fast ebenso verehrt wurde wie
     einst Žižka. Er kannte auch Jíra z Řečice, den Hauptmann von Žižkas alter Garde. Er kannte natürlich auch den Prediger Prokupek,
     der den Hauptleuten in nichts nachstand. Er kannte den immer lächelnden und stets fröhlichen Jan Kolda von Žampach. Den jungen
     Edelmann mit dem zweifach in ein schwarzes, silbernes und rotes Feld geteilten Wappenschild kannte er nicht, man sagte ihm,
     dies sei Matĕj Salava z Lipé, der Hauptmann von Polička. Aber Piotr von Lichwin, genannt Piotr der Pole, konnte er nirgendwo
     entdecken, erst später erfuhr er, dass dieser mit seinen Leuten in der eroberten Burg Homole geblieben war.
    Die Nachricht, dass der Sabotageversuch in der Stadt misslungen war, die Stadttore von Glatz

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