Gottesstreiter
Pavesen und
die Verteidiger hinter den Schießscharten noch immer mit Feuer aus den Selbstzündern bedenkend. |544| Die anderen rannten ganz einfach davon, sie türmten voller Panik, nur fort von den Mauern und dem Tod, der sich von oben ergoss.
Reynevan sah, wie sich die Waisen unter Jira von Řečice ebenfalls vom Grünen Tor in Richtung Neulende zurückzogen. Die Verteidiger
auf den Mauern brachen in Triumphgeschrei aus, sie schwenkten ihre Waffen und Fahnen und achteten nicht auf Geschosse, Kugeln
und Pfeile, die die Belagerer zu ihnen heraufschickten. Auf dem Turm über dem Tor wurden die weiß-blaue Fahne von Puta von
Czastolovice und ein großes Prozessionskruzifix hinaufgezogen, die Leute schrien und sangen. Sie triumphierten. Obwohl ein
Viertel der Stadt in Flammen stand, triumphierten sie.
Bisclavret legte seine Hakenbüchse auf das Gerüst des Rammbocks, zielte und führte die Lunte ans Zündloch. Die Hakenbüchse
ging donnernd los.
»Wenn ich doch Herrn Puta direkt in den Arsch ballern könnte!«, knurrte der von Rauch eingehüllte Écorcheur. »Heilige Gottesmutter!
Lenke meine Kugel!«
»Wir ziehen uns zurück.« Scharley wischte sich über sein rußgeschwärztes Gesicht. »Wir ziehen uns zurück, Jungs! Schluss mit
den Spielchen!«
Glatz hatte den Angriff abgewehrt.
»Jesuuuuuus!«, schrie der am Brückenkopf am Boden liegende Parzival von Rachenau aus Leibeskräften. »Jesuuuus Christuuuuus!«
»Hör auf!«, zischte Heinrich Baruth, genannt Spatz, der sich über ihn beugte. »Benimm dich! Plärr hier nicht herum wie ein
Weibsbild!«
»Weibsbild ...« Parzival schluckte. »Ich bin ja schon ein Weibsbild! Jesuuuus! Mir hat’s die ... Mir hat’s da unten alles abgerissen! O Gooottt! O Gooooott!«
Spatz beugte sich vor und berührte die blutende Hinterbacke des Freundes fast mit der Nase, fachmännisch überprüfte er die
Wunde.
|545| »Gar nichts hat’s dir abgerissen«, stellte er energisch fest. »Bei dir ist alles noch dran, so, wie’s sein soll. Die Kugel
ist dir in den Arsch gedrungen. Sitzt gar nicht mal tief. Die ist von ziemlicher Entfernung abgefeuert worden und hatte kaum
noch Durchschlagskraft ...«
Parzival heulte, fluchte und weinte. Vor Schmerz, vor Scham, vor Angst und vor Erleichterung. War vor seinem inneren Auge
doch bereits klar und deutlich und in allen Einzelheiten die infernalische, haarsträubende Szene abgelaufen: Wie er, er selbst,
im Falsett sprach, in einen Kapaun verwandelt wie weiland Petrus Abaelard, wie er wie Abaelard dämliche Traktate schrieb und
Briefe an Ofka von Baruth und wie es Ofka währenddessen im Bett mit einem anderen, vollwertigen Mann trieb, bei dem alles
noch am rechten Fleck saß. Der Krieg ist eine schreckliche Sache, das wurde dem Jungen nun mit Schaudern klar.
»Ich hab ... hab noch alles dran?«, fragte er, zur Sicherheit, und schluckte die Tränen hinunter. »Spatz ... Sieh doch noch mal nach ...«
»Alles noch da, alles noch dran«, beruhigte ihn Spatz. »Du blutest auch kaum noch. Halte durch. Hier kommt schon ein Mönch
mit Verbandszeug, der holt dir gleich die Kugel aus dem Hintern. Wisch dir die Tränen ab, die Leute gucken schon!«
Die Verteidiger von Glatz guckten nicht, sie interessierten sich weder für die Tränen noch für das blutende Loch in Parzival
von Rachenaus Hintern. Sie waren damit beschäftigt, auf den Mauern zu triumphieren und Hochrufe auszubringen. Puta von Czastolovice
und Prior Vogtsdorf wurden auf Händen getragen.
»Ich trage aber doch ein geweihtes Halsband mit der Mutter Gottes ... Das habe ich bei den Mönchen gekauft ... Es sollte mich vor Kugeln schützen! Wie kann denn dann so etwas passieren? Was ist das denn für ein ...«
»Schnauze!«, zischte Spatz. »Halt die Schnauze, sonst kriegen wir Probleme!«
|546| Die Feder kratzte.
Zeugen vermeldeten, dass Královec, der
capitaneus Orphanorum ,
die durch den heldenhaften Widerstand der Verteidiger zurückgeschlagen wurden, seinen speziellen Rufern, Stentores genannt,
befahl, vor den Mauern laut zu rufen und den Verteidigern mit schrecklichen Qualen zu drohen, wenn sie die Stadt nicht übergäben,
um durch diesen
clamor
Schrecken unter ihnen zu verbreiten. Als er bemerkte, dass dies vergeblich war, ließ er eine große Leinwand aufstellen und
darauf mit großen Lettern schreiben: ERGEBT EUCH ODER TOD
,
und ließ diese den Verteidigern zeigen, an jenem Mauerteil, den
Weitere Kostenlose Bücher