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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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presste ihm erschrocken die Hand auf die blutende Schläfe und flüsterte, oder besser, krächzte die Formel des Alkmenezaubers.
     Er spürte, wie Kälte ihn überkam, die von der Schulter, von dem unter dem Schlüsselbein feststeckenden Bolzen, ausging. Samson
     warf sich hin und her und fuchtelte mit der Hand, als wollte er etwas vertreiben. Plötzlich blickte er klarer drein. Verständiger.
    »Reynevan   ...«, stieß er hervor, »etwas ist   ... etwas geschieht mit mir   ... Solange ich noch kann   ... Ich sage dir   ... Ich muss dir sagen   ...«
    »Lieg still   ...« Reynevan biss sich vor Schmerzen auf die Lippen. »Lieg   ...«
    Samsons Augen bedeckten sich innerhalb einer Sekunde wieder mit Schleiern und Furcht. Der Riese wimmerte, schluckte und rollte
     sich wie ein Fötus zusammen.
    Die Verwandlung vollzieht sich, durch Reynevans Kopf zogen wie ein Sturmwind kreisende Erinnerungen und Zusammenhänge. Einer
     geht von uns, einer kommt zu uns. Der Klosteridiot kehrt aus dem Dunkel zurück, in das er gewandert ist, er kehrt in seine
     bisherige Hülle zurück. Das
negotium
, das im Dunkel lebt, kehrt in die Dunkelheit zurück. Er kehrt nach Hause zurück. Der Wanderer, der
viator
, kehrt nach Hause zurück. Das, was den Zauberern nicht gelungen ist, vollzieht hier vor meinen Augen der Tod.
    Der Schmerz ließ ihn sich wieder aufbäumen, Krämpfe drückten ihm die Lunge und den Kehlkopf ab, sie raubten ihm völlig die
     Kraft in den Beinen. Mit zitternder Hand tastete er |596| über seinen Rücken. Ja, wie er es erwartet hatte, das Geschoss ragte aus dem Schulterblatt. Dort floss das Blut reichlich.
    »He, ihr da, ihr Hurensöhne!«, schrie jemand aus dem Gebüsch auf der anderen Seite der Schlucht. »Ihr Ketzer! Ihr ungläubigen
     Hunde!«
    »Selber Hurensöhne!«, brüllte von der anderen Seite des Hohlwegs Dobko Puchała zurück. »Verfickte Papisten!«
    »Wollt ihr euch ein wenig schlagen? Dann kommt rüber auf diese Seite, ihr Hurensöhne!«
    »Kommt ihr doch rüber auf unsere, Hurensöhne!«
    »Wir treten euch in die Ärsche!«
    »Wir treten
euch
in die Ärsche!«
    Es schien, als sollte der ungepflegte und schmerzlich triviale Wortwechsel immer so weitergehen. Das tat er aber nicht.
    »Puchała?«, fragte ungläubig eine Stimme aus dem Gebüsch. »Dobiesław Puchała? Von Wieniawa?«
    »Wer zum Henker will das wissen?«
    »Otto Nostitz!«
    »O Scheiße! Grunwald?«
    »Grunwald! Am Tage der Aussendung der Apostel 1410!«
    Eine Zeit lang herrschte Stille. Aber der Wind trieb den Gestank der brennenden Lunten herüber.
    »He, Puchała? Wir werden uns doch wohl nicht gegenseitig an die Kehle gehen. Wir waren Kampfgefährten in einer Schlacht. Das
     schickt sich nicht, verdammt!«
    »Schickt sich wahrhaftig nicht! Waren Kampfgefährten! Also was jetzt, ihr geht euren Weg, wir unseren? Was sagst du dazu,
     Nostitz?«
    »So soll’s sein.«
    »Ich habe da unten Verwundete! Wenn ich die mitnehme, gehen sie mir vor die Hunde. Kümmerst du dich um sie?«
    »Mein Ehrenwort als Ritter! Schließlich waren wir Kampfgefährten!«
    Reynevan wusste selbst nicht, woher er die Kraft dazu nahm, aber mit einem immer wieder wiederholten Heilspruch gelang |597| es ihm schließlich, den Blutstrom aus Samsons Kopf zu stoppen. Er stellte fest, dass er selbst bereits im Blut schwamm. Vor
     seinen Augen wurde es dunkel. Er spürte keine Schmerzen mehr.
    Er war ohnmächtig geworden.

|598| Zweiundzwanzigstes Kapitel
    in dem das Fieber abwechselnd steigt und fällt und die Schmerzen immer schlimmer werden. Zu allem Übel muss man dabei auch
     noch fliehen.
     
    Er erwachte in der Dämmerung, sah, wie die Dunkelheit dem Licht wich, wie dieses in die Dämmerung tröpfelte, sich mit ihr
     mischte und eine graue milchige Emulsion bildete.
Umbram fugat claritas,
ging es ihm durch den Kopf.
Noctem lux eliminat.
Aurora.
Eos rhododaktylos
erhebt sich und rötet den Himmel im Osten.
    Er lag auf einer harten Pritsche. Der Versuch, sich zu bewegen, verursachte in Schulter und Schulterblatt einen wütenden Schmerz.
     Noch bevor er die dick mit einem Verband versehene Stelle betastete, war ihm der Bolzen eingefallen, der dort gesteckt hatte,
     vorne die Fiederung aus Gänsefedern und hinten, einen Zoll lang, das Eschenholz und dann die eiserne Spitze, ebenfalls einen
     Zoll lang. Auch jetzt steckte immer noch ein Pfeil darin. Der unsichtbare und unkörperliche Pfeil des Schmerzes.
    Er wusste, wo er sich befand. Er war schon in vielen

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