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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Stein auf die Schanze!«
    Hinter dem Friedhof ist eine Wegkreuzung. Unter dem Steinkreuz, mit dem Rücken daran angelehnt, sitzt Řehors. Sein Gesicht
     ist zur Hälfte verhüllt, er ist in ein Bahrtuch gewickelt, eine blutgetränkte Plane aus Sackleinen.
    »Das Rad der Geschichte saust dahin«, sagt er undeutlich und mit großer Anstrengung. »Keine Macht ist in der Lage, es aufzuhalten.
     Opfere sie! Du musst sie opfern! Für die Sache! Für den Kelch! Der Kelch muss triumphieren!«
    »Einen Stein auf die Schanze!«, quaken hin- und herhüpfend die Schrettel mit den riesigen Ohren. »Wirf sie weg, wie einen
     Stein auf die Schanze!«
    »Sie ist ohnehin verloren«, meint Bisclavret, der aus einem Graben am Wege aufsteigt. Man weiß nicht recht, wie und womit
     er spricht, statt Hals und Mund ist da nur ein blutiger Brei. »Johann von Münsterberg lässt sie nicht aus den Fingern. Egal,
     was du tust, du wirst sie nicht retten. Sie lebt nicht mehr. Sie ist verloren.«
    Aus dem Graben auf der anderen Seite steigt Gelfrad von Sterz. Ohne Kopf. Den hält er unter dem Arm.
    |682| »Du hast geschworen«, sagt der Kopf. »Du hast dein
verbum nobile
gegeben, dein Wort als Edelmann. Du musst sie opfern. Ich habe mich selbst   ... geopfert. Ich habe meine Pflicht erfüllt. Ich habe ihm geschworen   ...
Hodie mihi, cras tibi   ... Hodie mihi, cras tibi   ...
«
    Die Hufe trommeln auf den Boden. Reynevan galoppiert, im Sattel vornüber gebeugt. Hier irgendwo müsste das Dorf Baumgarten
     sein. Aber es ist nicht da. Da sind hohe, nackte Bäume, ein wilder Wald, ein Winterwald.
    »Ihr wart ein schönes Paar«, ruft ein grünhäutiges Wesen mit phosphorglühenden Augen. »Joiosa und bachelor. Ihr wart es, ihr
     wart es!«
    »Einen Stein auf die Schanze!«, heulen die sich aus dem Windbruch erhebenden Wichtel. »Einen Stein auf die Schanze!«
    Hinter den Baumstämmen lugen Alpe hervor, hoch gewachsene, dunkelhäutige Alpe mit weißen Haaren und spitzen Ohren.
    »Tempus odii«
, ein aufdringliches, gut hörbares Gewisper drängt sich an ihn heran, flüstert: »
tempus odii
, die Zeit des Hasses   ...«
    Hier sollte das Dorf Kleinbuckau sein. Es ist nicht da.
    »Die neue Ära!«, ruft, aus der Erde hervorspringend, Krečiř, der Prediger der Waisen. Er ist von But überströmt, es fließt
     aus seinem über dem Ellenbogen abgeschlagenen Arm und aus einer grässlichen Wunde am Kopf.
    »Die neue Ära! Die alte Welt soll im Feuer vergehen! Opfere sie! Opfere sie für die Sache!«
    »Einen Stein auf die Schanze! Einen Stein auf die Schanze!«
    »Das Reich Gottes kommt!«, heult Krečiř. »Das wahrhaftige
regnum Dei!
Wir werden triumphieren! Der wahre Glaube triumphiert, das Unrecht hat ein Ende, die Welt verändert sich. Damit das geschieht,
     musst du sie opfern!«
    »Du musst sie opfern!«
    Den Hang herab, in einem langen, nicht enden wollenden Reigen, kommt der Totentanz gezogen, der
danse macabre
, |683| hunderte, von zerrissenen Bahrtüchern umhüllte Skelette hüpfen, hopsen und tänzeln in wilden, grotesken Sprüngen. Zerschlissene
     Fahnen und Standarten wehen und rauschen. Trommeln veranstalten einen höllischen Lärm. Man hört das Klappern der Knochen,
     der Zähne. Und einen wilden, von quäkenden Stimmen intonierten Choral:
    Kto
ž
jsú božé bojovnícé
    a zákona jeho!
    Über dem Treiben der Skelette kreisen und krächzen tausende von Raben, Krähen und Dohlen. Der Wind treibt abscheulichen Leichengeruch
     herüber. Knochen klappern, Zähne klappern. Die Schreie und das verdammte Geheul schwellen an. Und auch der Gesang.
    Kto
ž
jsú božé bojovnícé
    a zákona jeho!
    Einen Stein auf die Schanze. Du musst sie opfern.
    Reynevan vergräbt das Gesicht in der Mähne des Pferdes, er gibt dem Tier die Sporen.
    Die Hufe trommeln über den gefrorenen Boden.
     
    Der Albtraum endete abrupter, als er begonnen hatte. Die Dunkelheit wich im Handumdrehen. Die normale Welt kehrte zurück.
     Der normale Dezemberhimmel mit seinem Mond, bleich wie ein Weißkäse.
    Das Dorf Frankenberg befand sich dort, wo es sein sollte. Hunde bellten. Rauch kroch über die Dächer und breitete sich über
     dem Brachland aus.
    In der Ferne, im Süden, aus der Richtung, in die er reiten sollte, wohl in Wartha, wurde zur None geläutet. Reynevan ritt.
     Das Pferd warf den Kopf hoch und bockte.
    Der Kopfschmerz war verflogen.
     
    |684| Er hatte Wartha hinter sich gelassen, das immer noch die Spuren von Brand und Verwüstung trug. Er ritt am linken

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