Gottesstreiter
die Geschichte hat die aufgegriffenen
Hussiten in die Schächte der Bergwerke geworfen. Nicht die Ungarn des Luxemburgers, sondern die Geschichte |79| hat die Frauen in Laun vergewaltigt und ermordet. Nicht Žižka, sondern die Geschichte hat die Leute in Komotau, in Beraun
und in Böhmisch-Brod gemordet und bei lebendigem Leibe verbrannt. Die Geschichte hat auch Hynek von Kolštejn erschlagen. Und
da willst du Rache üben? An der Geschichte? Dich aufführen wie König Xerxes, der das Meer peitschte?«
Reynevan schüttelte den Kopf. Aber er erwiderte nichts.
Sie gelangten zur Insel Travnik. Vom linken Ufer her roch es immer noch nach Verbranntem. Im Mai 1420, während heftiger Kämpfe
mit dem Heer der Königstreuen, war die Kleinseite in Flammen aufgegangen, so gründlich, dass sie fast vollständig zu Asche
geworden und dies bis zum heutigen Tag so geblieben war. Man hatte zwar versucht, dort wieder etwas aufzubauen, aber irgendwie
herzlos und ohne jeden Eifer. Es hatte immer wieder andere Sorgen gegeben, die Geschichte hatte dafür gesorgt, dass es daran
nicht mangelte.
»Im Lichte der historischen Prozesse betrachtet«, fuhr Scharley mit Blick auf die schwärzlichen Überreste der Mühlen am Ufer
fort, »kann man also davon ausgehen, dass du bereits Rache für deinen Bruder genommen hast. Denn du bist in seine Fußstapfen
getreten und setzt sein Werk fort, das er nicht zu Ende bringen konnte. Als Erbe deines Bruders hast du die Kommunion
sub utraque specie
angenommen und bist ein Hussit. Peterlin war, das weiß ich, weil entsprechende Informationen zu mir gelangt sind, ein gläubiger
Utraquist, welcher der Sache des Kelches aus aufrichtiger Überzeugung diente. Ich sage dies, weil es auch andere gab, die
das aus anderen Beweggründen, manchmal recht schmutzigen, immer aber aus sehr prosaischen, getan haben.
Aber, und das wiederhole ich noch einmal, das traf weder auf deinen Bruder zu noch auf dich, wie ich denke. Du kämpfst immer
ehrlich und aufopferungsvoll, ohne geringste Berechnung, für die Sache und die Religion, für die dein Bruder sich töten ließ.«
»Ich weiß nicht, woher das kommt, Scharley, aber aus deinem |80| Munde klingen die heiligsten Dinge wie eine Wirtshauszote. Ich weiß, dass du dir nichts aus Heiligkeit machst ...«
»Heiligkeit?«, unterbrach ihn der Demerit. »Reinmar? Ich höre wohl nicht recht?«
»Unterbrich mich bitte nicht.« Reynevan presste die Lippen zusammen, nicht etwa aus Niedertracht oder weil er keine eigene
Meinung hatte. »Sicher, dass Peterlin für sie gestorben ist, hat mich den Hussiten näher gebracht, ich weiß, was für ein Mensch
mein Bruder war, also stehe ich, ohne zu zögern, auf der Seite, für die er sich ausgesprochen hat. Aber ich habe auch meinen
eigenen Verstand. Ich habe die Sache durchdacht und in meiner Seele ein Urteil gefällt. Die Kommunion mit dem Kelch habe ich
aus voller Überzeugung empfangen. Denn ich unterstütze die Vier Artikel und Wyclifs Lehre, ich unterstütze die Hussiten in
Fragen der Liturgie und der Interpretation der Bibel. Ich teile ihre Weltanschauung und ihr Programm zur Schaffung einer sozialen
Gerechtigkeit.«
»Entschuldige, was für einer Gerechtigkeit?«
»
Omnia sunt communia
, Scharley! Alles gehört allen, in diesen Worten liegt die ganze göttliche Gerechtigkeit. Es gibt keine Großen, keine Kleinen,
keine Reichen, keine Armen. Alles gehört allen gemeinsam! Kommunismus! Klingt das nicht schön?«
»Ich habe lange nichts mehr gehört, was so schön klingt.«
»Woher dann dieser Sarkasmus?«
»Mach dir nichts draus. Klinge ruhig so weiter. Womit haben dich die Wyclifiten noch betört?«
»Mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele unterstütze ich das Prinzip
sola scriptura
.«
»Aha.«
»Der Heiligen Schrift muss und soll man nichts hinzufügen. Die Schrift ist verständlich genug, dass jeder Gläubige sie auch
ohne Kommentar von der Kanzel herab verstehen kann. Zwischen den Gläubigen und Gott bedarf es keiner Mittler. Vor dem Schöpfer
sind alle gleich. Die Autorität des Papstes und der kirchlichen Würdenträger kann man nur dann anerkennen, |81| wenn sie mit dem Willen des Allerhöchsten und der Heiligen Schrift übereinstimmt. Besonders der Besitz wird den Priestern
nur anvertraut, damit sie ihre ihnen von Christus und der Schrift auferlegten Pflichten erfüllen. Wenn die Priester diese
Pflichten nicht erfüllen, wenn sie sündigen, muss ihnen dieser Besitz
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