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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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genommen werden.«
    »Oh!«, versetzte Scharley lebhaft. »Nehmen? Ja, das klingt gut. Dieser Klang gefällt mir!«
    »Spotte nicht. Hast du dir noch nie überlegt, warum gerade hier in Böhmen, in Prag, aus dem Funken, der von dem Scheiterhaufen
     in Konstanz ausging, solch ein Brand entfacht wurde? Ich sag’s dir: Weißt du, wie viele Geistliche es in der Prager Diözese
     gab? Sechstausend. Wie viele Klöster es gab? Hundertsechzig. Weißt du, dass allein in Prag jeder Zwanzigste einen Habit oder
     eine Kutte trug? Und wie viele Pfarreien gab es in Prag? Vierundvierzig. Breslau hat, wenn ich dich daran erinnern darf, neun.
     Allein im St.- Veits-Dom gab es exakt dreihundert kirchliche Stellen. Kannst du dir vorstellen, wie groß das Vermögen war,
     das allein aus den Präbenden und Annaten gezogen wurde? Nein, Scharley, so konnte es nicht länger weitergehen, und so kann
     es nicht gehen. Die Säkularisierung der Kirchengüter ist absolut notwendig. Der Klerus herrscht über einen zu mächtigen weltlichen
     Besitz. Hier geht es nicht nur mehr um Christi Gebote, sondern um die Rückkehr zur evangelischen Armut, zu der Art zu leben,
     wie Jesus und die Apostel es taten. Diese gewaltige Konzentration von Besitz und Macht musste Zorn und soziale Spannungen
     heraufbeschwören. Das muss ein Ende nehmen, ihr Reichtum, ihre Leuteschinderei, ihr Prunk, ihr Stolz, ihre Macht. Sie müssen
     wieder zurückkehren zu dem, was sie waren, zu dem, was ihnen Christus befohlen hat: nämlich arme und demütige Diener zu sein.
     Und nicht Joachim von Fiore ist als Erster darauf gekommen, nicht Ockham, nicht Waldhausen, nicht Wyclif und nicht Hus, sondern
     Franz von Assisi. Die Kirche muss sich ändern. Sich reformieren. Von einer Kirche der Magnaten |82| und Politiker, der Prahler und Dummköpfe, der Obskuranten und Hypokriten, von einer Kirche der Inquisitoren, einer Kirche
     verbrecherischer Anführer von Kreuzzügen, solcher Kreaturen wie zum Beispiel unser Breslauer Bischof Konrad, muss sie sich
     zu einer Kirche der Franziskaner wandeln.«
    »Du verschwendest dein Talent in den Spitälern. Du solltest Prediger werden. Meiner Ansicht nach solltest du dich aber ein
     wenig zügeln. In Tábor haben wir genügend Prediger, ja sogar mehr als genug, bis zum Gehtnichtmehr, manchmal kommt dir bei
     so einer Predigt das Frühstück wieder hoch. Hab doch ein bisschen Mitleid mit unserem Rührei mit Sellerie und bremse dich
     ein wenig. Du fängst sonst womöglich noch an, gegen Simonie und Wollust zu wettern.«
    »Wenn’s aber wahr ist! Niemand hält sich mehr an die kirchlichen Eide und Regeln. In Rom angefangen bis hinunter zum entlegensten
     Pfarrsprengel, nichts, nur Ämterkauf, Sittenlosigkeit, Sauferei und Verderbtheit. Soll man sich da wundern, wenn Analogien
     zu Babylon und Sodom aufkommen, wenn alles mit dem Antichristen gleichgesetzt wird? Wenn das Wort umgeht:
omne malum a clero
? Deswegen bin ich für eine Reform, selbst für die radikalste.«
    Scharley wandte seinen Blick von der Brandstätte der Johanniterkommende und den flammengeschwärzten Mauern der Ordenskirche
     St. Maria unter der Kette.
    »Du bist für eine Reform, sagst du. Also werde ich deine Ohren mit einem Bericht darüber erfreuen, wie wir, die Gottesstreiter,
     diese Lehre mit Leben erfüllen. Im Mai dieses Jahres, die Nachricht darüber ist dir gewiss zu Ohren gekommen, sind wir unter
     Prokop dem Kahlen zu einem Zug in die Lausitz aufgebrochen. Wir haben eine ganze Reihe von Kultstätten in Brand gesteckt und
     ausgeraubt, darunter Kirchen und Klöster in Hirschfeld, in Ostritz und in Bernstadt, und auch, was dich interessieren dürfte,
     bei Friedland, auf dem Land von Ulrich von Biberstein, der wohl der Onkel deiner geliebten Katharina ist. Görlitz einzunehmen,
     obgleich wir es bestürmt haben, ist |83| uns nicht gelungen, aber in Lauban, das wir am Freitag vor dem Sonntag
Cantate
eingenommen haben, sind wir auf ein gutes Dutzend Priester und Mönche gestoßen, darunter auch Dominikaner, die aus Böhmen
     geflohen waren und eben in Lauban Asyl gefunden hatten. Prokop befahl, sie erbarmungslos niederzumachen. Also haben wir sie
     niedergemacht. Die böhmischen Pfaffen wurden verbrannt, die deutschen erschlagen oder im Queis ertränkt. Ein ähnliches Gemetzel
     haben wir vier Tage später in Goldberg veranstaltet   ... Du machst so ein komisches Gesicht. Langweile ich dich?«
    »Nein. Aber mir scheint, wir reden von völlig verschiedenen

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