Gottesstreiter
Verrat heimzuzahlen ... Holla, Reinmar, gehen wir denn überhaupt in die richtige Richtung? Ich kenne Prag nicht sehr gut, aber sollten wir nicht
eher dort entlanggehen, hinter dem Neustädter Rathaus zum Karmeliterkloster?«
»Wir gehen über den Zderaz zur Anlegestelle am Holzmarkt. Wir fahren mit dem Boot.«
»Auf der Moldau?«
»Aber sicher. Ich mache das in letzter Zeit immer so. Ich habe dir doch gesagt, dass ich im Spital der Bohuslav-Mönche arbeite,
das ist in der Nähe von St. Franziskus. Um dorthin zu kommen, muss man durch die ganze Stadt laufen. Das ist mehr als eine
halbe Stunde Marsch, und an den Markttagen muss |77| man jedes Mal eine halbe Stunde hinzurechnen, die man im Gedränge vor dem St.-Gallus-Tor steht. Mit dem Boot geht es schneller.
Und es ist bequemer.«
»Du hast also ein Boot gekauft.« Scharley nickte und bemühte sich, eine ernste Miene aufzusetzen. »Ich sehe schon, den Ärzten
hier geht es gut. Sie kleiden sich hervorragend, wohnen im Luxus, frühstücken ausgiebig und werden von attraktiven Witwen
bedient. Jeder besitzt nach dem Vorbild venezianischer Patrizier seine eigene Gondel. Komm schon, komm, ich brenne darauf,
sie zu sehen.«
Das am Ufer festgezurrte ausladende, breitrumpfige Boot glich nicht im Entferntesten einer venezianischen Gondel – vielleicht
auch deshalb, weil es zum Transport von Gemüse diente. Scharley zeigte keinerlei Enttäuschung, er sprang behände an Bord und
setzte sich zwischen die Körbe. Reynevan begrüßte den Bootsführer. Er hatte vor einem halben Jahr dessen Bein geheilt, das
zwischen den Bordrändern zweier Barken hässlich zerquetscht worden war, wofür sich der täglich zwischen Psáry und Bubny pendelnde
Bootsführer mit kostenlosem Transport revanchierte. Na, sagen wir, nahezu kostenlosem, denn im letzten halben Jahr hatte Reynevan
auch noch die Frau des Bootsführers und zwei seiner sechs halbwüchsigen Kinder kuriert.
Kurz darauf legte der mit Möhren, Rettichen und Kohl schwer beladene Kahn vom Ufer ab und trieb, tief liegend, mit der Strömung
der Moldau.
Außer Hobelspänen und Ästen trug das Wasser viele bunte Blätter mit sich. Es war bereits September. Wenn auch ein außergewöhnlich
warmer.
Sie entfernten sich vom Ufer, glitten durch ein Wehr und durch Strudel, um die herum zahlreiche Rapfen schwammen, die einen
ganzen Schwarm von Strömlingen nachzuahmen schienen.
»Von den zahlreichen Vorzügen einer solchen Flussfahrt«, bemerkte Scharley scharfsinnig, »ist die Möglichkeit, sich zu |78| unterhalten, ohne dabei belauscht zu werden, keineswegs die geringste. Wir können also unser gestriges abendliches Gespräch
fortsetzen.«
Das gestrige Gespräch, das am Abend begonnen und sich bis tief in die Nacht hinein hingezogen hatte, betraf, verständlicherweise,
die wichtigsten Ereignisse der letzten Monate – von der Schlacht bei Tachau bis zum Putsch Hynek von Kolštejns vor kurzem
und seinen Konsequenzen. Reynevan erzählte Scharley alles, was er eine Woche zuvor von Jan Smiřický von Smiřice erfahren hatte.
Und er berichtete von seinen Plänen. Diese fanden, wie zu erwarten war, keineswegs Scharleys Beifall. Er hatte sie gestern
nicht gutgeheißen und hieß sie auch heute nicht gut.
»Das ist mehr als töricht!«, stellte er noch einmal fest. »Es ist doch völliger Irrsinn, nach Schlesien zurückzukehren und
Rache zu üben. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, du wärest in den letzten zwei Jahren überhaupt nicht klüger,
ja, ich würde sogar meinen, du wärest noch dümmer geworden. Aber so ist es ja nicht. Du bist klüger geworden, Reinmar, dein
Handeln Smiřický gegenüber beweist es doch. Du hattest ihn in der Hand, auf Gedeih und Verderb. Und was hast du getan? Du
hast ihn freigelassen. Betrübt über den Tod deines Bruders, nach Rache dürstend, und doch hast du ihn gehen lassen. Denn mit
dem Verstand, den du besitzt, erfasst du die Sinnlosigkeit einer solchen Rache. Schuld am Tod deines Bruders ist Smiřický
nicht direkt. Jenen Birkhart von Grellenort, der vielleicht sogar deinen Bruder eigenhändig erschlagen hat, und Konrad, den
Bischof von Breslau, der wohl den Befehl dazu gegeben hat, trifft paradoxerweise auch keine Schuld. Das, was Peterlin getötet
hat, war der historische Augenblick. Jener historische Augenblick, der im Winter 1425 Ambros nach Wünschelburg und Wartha geführt hat. Nicht die Einwohner von Kuttenberg, sondern
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