Gottesstreiter
hatte. Reynevan vermutete, dass er Scharley auf einer dieser Reisen kennen gelernt hatte.
Reynevan, Scharley und Samson folgten Prokop und dem Büchsenmeister an einer Linie von Palisaden und mit Reisigbündeln bestückten
Barrikaden entlang. Prokop kontrollierte die Bombarden und Mörser, sprach mit den Büchsen- und Mörserschützen und den Pavesenträgern,
klopfte den Armbrustschützen auf die Schulter, rief den Dreschflegelstreitern an den Feuern derbe Scherze zu und fragte die
Hellebardenträger, ob es ihnen an etwas mangele. Er fand Zeit, mit den sich bei den Kochkesseln tummelnden Frauen zu sprechen,
kostete von der Grütze für die Soldaten und versäumte auch nicht, den sich in der Nähe der Küche herumtreibenden Kindern das
Blondhaar zu zerzausen. Er hob bescheiden die Hände, als die Gottesstreiter ihm zu Ehren in Ovationen ausbrachen.
Das Ganze dauerte ziemlich lange. Aber Prokop hatte sie keineswegs vergessen. Sie kehrten in die Vorstadt zurück.
Prokops Armee war unvermutet vor Kolín aufgetaucht, ohne der Bevölkerung der Vorstadt viel Zeit zu geben. Diese hatte sich
nur durch Flucht in die Stadt retten können, und nur mit dem, was jeder tragen konnte, und so hatten sie den Taboriten und
den Waisen reichlich Vorräte, viel Vieh und dazu noch ihre Hütten mit allen Einrichtungsgegenständen überlassen müssen. Es
war also nicht verwunderlich, wenn sich jetzt auf diesem Gebiet das Hauptquartier der Gottesstreiter befand, umgeben von einer
Schanze aus Kampfwagen und mit einer Einfriedung für die Pferde. Zwischen den Hütten und Katen brannten zahlreiche Feuer,
dröhnten die Eisenhämmer der Schmiede, klopften die Holzhämmer in den Stellmacherwerkstätten. Wäsche trocknete auf Leinen.
Schweine quiekten, Schafe blökten. Die Latrinen stanken.
»Nur mal so«, ließ sich Prokop plötzlich vernehmen, »warum bist du eigentlich hierher gekommen, Bruder Bielau?«
Reynevan stieß insgeheim einen tiefen Seufzer aus. Er hatte diese Frage erwartet.
|121| Den Entschluss, sich zur Burg Troský aufzumachen, hatte Reynevan gefasst. Man muss hinzufügen, er hatte ihn ziemlich spontan
gefasst und mit einem derart überschwänglichen Enthusiasmus, wie er wohl eher einer jungen Witwe angestanden hätte. Jener
Enthusiasmus und jene Spontaneität hatten so gar nicht dem Geschmack der Magier vom »Erzengel« entsprochen, am wenigsten dem
von Fraundinst und Stephan von Drahotuše. Beide zogen sowohl den Wahrheitsgehalt von Axlebens Mitteilungen wie auch die angeblich
legendären Fähigkeiten jenes angeblich legendären Rupilius des Schlesiers in Zweifel. Axleben, behaupteten sie, habe ganz
einfach etwas dahergefaselt, um von seiner blamablen Niederlage mit Samson abzulenken. Rupilius der Schlesier befinde sich
überhaupt nicht auf Burg Troský. Und selbst wenn sich Rupilius der Schlesier zufällig auf Burg Troský befände, sei die Wahrscheinlichkeit,
dass er helfen könne, gleich null – denn nach vagen Berechnungen zähle Rupilius der Schlesier gut und gerne an die neunzig
Jahre, und was könne man wohl von solch einem Tattergreis erwarten?
Telesma hingegen hatte sich sofort auf Reynevans Seite geschlagen. Telesma hatte von Rupilius dem Schlesier gehört, war ihm
wohl auch einmal flüchtig begegnet und hielt dessen Kompetenz hinsichtlich Spiritismus und Astralwesen schon seit einem halben
Jahrhundert für bestätigt und bewiesen. Es zu versuchen, entschied er, könne nichts schaden. Der Aufbruch nach Troský stelle
für Samson eine Chance dar, die man nutzen müsse, und das schleunigst.
Rupilius, das sei wohl wahr, habe bereits neunzig Jahre auf dem Buckel. Und in diesem Alter, das sei klar, genüge es, wenn
man sich erkälte, niese und furze, und unvermutet fände man sich in der Astralwelt wieder.
Telesma bekam Unterstützung durch Bezdĕchovský. Der betagte Magier hatte von Rupilius nicht nur gehört, sondern ihn vor Jahren
in Padua persönlich kennen gelernt. Rupilius, verkündete er, könne Samson sehr wohl helfen. Man wisse jedoch |122| nicht, ob er es auch tun werde, denn in Padua habe er sich als arroganter und wenig umgänglicher Scheißkerl erwiesen.
Skeptisch und zurückhaltend einem solchen Unternehmen gegenüber verhielt sich seltsamerweise Samson selbst. Samson hatte sich
an der Diskussion kaum beteiligt, und wenn doch, dann ziemlich lustlos. Er hatte weder dafür noch dagegen argumentiert. Die
meiste Zeit hatte er geschwiegen. Aber Reynevan
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