Gottesstreiter
beendete Teggendorf das beklommene Schweigen.
»Gibt es den denn überhaupt?«, flüsterte Tvrdik Telesma zu.
»Er lebt. Und er ist der größte lebende Spezialist für Astralleiber und Astralwesen. Wenn hier jemand helfen kann, dann nur
er. Gehen wir zu Tisch. Ach ... Fast hätte ich es vergessen.«
Der Nekromant suchte Reynevans Blick und sah ihm direkt in die Augen.
»Du bist sein Freund, junger Mann«, stellte er fragend fest. »Dein Name ist Reynevan.«
Reynevan schluckte und antwortete mit einem Nicken.
»Während er in Trance war, hat Samson geweissagt«, sagte Axleben gleichmütig. »Er hat diese Weissagung mehrfach wiederholt,
sie ist klar und deutlich. Du sollst dich vor der Großmutter und der Jungfrau hüten.«
»Nun fügt es sich so«, der Nekromant ließ mit einem eisigen Blick das spöttische Lächeln von Scharley und Tvrdik gefrieren,
»nun fügt es sich so, dass ich weiß, was damit gemeint ist. Die ›Großmutter‹ und die ›Jungfrau‹ sind die beiden berühmten
Felstürme der nicht weniger berühmten Burg Troský im Vorland des Riesengebirges. Hüte dich vor Burg Troský, Jüngling, den
man Reynevan nennt.«
»Einer glücklichen Fügung entsprechend, führt unser Weg nicht in jene Richtung«, stieß Reynevan hervor.
»Eine Fügung ist ganz etwas anderes«, warf Axleben über die Schulter zurück, während er der Tür zustrebte. »Nämlich, dass
Rupilius der Schlesier, der einzige Mensch, der meiner Ansicht nach deinem Samson helfen kann, seit über zehn Jahren in Böhmen
lebt. Und zwar auf Burg Troský.«
|116| Viertes Kapitel
in dem vor Kolín die Bombarden schießen und donnern und Pläne entworfen werden, die einen mehr, die anderen weniger utopisch
und phantastisch – wie es jedoch um Utopie und Phantasie bestellt ist, wird die Zeit erst noch erweisen.
Bruder Prokop! Bruder Prokop! Die Bombarde ist abgekühlt. Lassen wir es noch einmal krachen?«
Der Mann, an den sich der Büchsenmeister mit seiner Frage wandte, war von kräftiger Statur und hatte breite Schultern. Sein
rosiges, klar konturiertes Gesicht, die Kartoffelnase und der herunterhängende schwarze Welsschnurrbart ließen ihn wie einen
Bauer aussehen, wie einen Landmann, der mit seiner Ernte unzufrieden war.
Reynevan war diesem Mann schon begegnet. Mehrmals. Und jedes Mal hatte er ihn neugierig betrachtet.
Prokop war vor der Revolution Priester gewesen, es hieß, er stamme aus Prag, aus einem Patriziergeschlecht der Altstadt. Zu
den Hussiten war er gleich nach dem Fenstersturz gestoßen, aber vor 1425 war er nur einer von vielen taboritischen Predigern
gewesen, von denen er sich jedoch nicht nur durch Verstand, Kaltblütigkeit und Aufgeschlossenheit unterschied, sondern auch
dadurch, dass er entgegen der hussitischen Liturgie keinen Apostelbart trug, sondern sich jeden Morgen penibel rasierte und
seinen berühmten Welsschnurrbart pflegte. Nach Bohuslav von Švamberks Tod war Prokop überraschend zum Ersten Hetman, zum Oberbefehlshaber,
und zum Ersten »Wirker« – so hatte man den Titel
director operationum Taboritarum
übersetzt – gewählt worden.
Kurz nach seiner Nominierung erhielt Prokop einen weiteren |117| Beinamen: der Große. Und dabei ging es nicht allein um seine Statur. Prokop erwies sich als wahrhaft großer Anführer und Stratege,
was seine spektakulären Siege bei Aussig, bei Zwettl, bei Tachau und Mies bezeugten. Der Stern Prokops des Kahlen erstrahlte
hell.
»Bruder Prokop«, der Büchsenmeister brachte sich in Erinnerung, »lassen wir es krachen?«
Prokop der Kahle betrachtete die Mauern und Türme Kolíns, die sich malerisch in das Rot der Dächer und die herbstliche Farbenpracht
der umliegenden Wälder und ihrer Vegetation einfügten.
»Warum habt ihr es denn so eilig mit der Schießerei«, antwortete er, eine Gegenfrage stellend, »mit der Zerstörung? Dies ist
eine böhmische Stadt, bei Gott! Wartet’s doch ab, bald ziehen wir in fremdes Gebiet, da könnt ihr rumballern und Schaden anrichten.
Ich brauche Kolín als Stadt und möglichst wenig zerstört. Und genauso werden wir es auch einnehmen.«
Kolín erwiderte das Feuer, als wollte es dadurch seine gegenteilige Meinung und sein Missvergnügen zum Ausdruck bringen. Von
den Mauern herunter krachte und donnerte es, über den Schießscharten stiegen Rauchwolken auf, pfiffen Steinkugeln. Diese bohrten
sich etwa zwanzig Schritte vor den Schanzen der vordersten Belagerungslinie in den
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