Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
damit, dass er in den taboritischen Feldzügen um Beute und Gewinn kämpfte und schon die
     eine oder andere erkleckliche Rücklage gebildet und in verschiedenen Verstecken deponiert hatte.
    Die Sonne verbarg sich wieder hinter den von Norden herantreibenden dunklen Wolken. Es wurde frostig und finster. Als wäre
     dies ein böses Omen.
    Reynevan gelangte nun zu der Ansicht, dass Vorhersagen Aberglaube seien.
     
    Prokop erweckte den Eindruck, als höre er nicht. Aber das war nur vorgetäuscht.
    »Bruder Scharley Urlaub erteilen?«, wiederholte er. »Ihn in Zeiten des Krieges aus dem Armeedienst entlassen? Für deine privaten
     Angelegenheiten, Bruder Bielau? Mit anderen Worten: Das Private hat den Vorrang, und die Pflicht gegen Gott und Vaterland
     bedeutet nichts. Oder wie ist das zu verstehen?«
    Reynevan antwortete nicht. Er schluckte nur hörbar. Prokop lachte laut auf.
    »Einverstanden«, erklärte er, »ich bin einverstanden.«
    |125| »Dafür gibt es drei Gründe«, fuhr er fort, geradezu entzückt über ihr Erstaunen. »Erstens dient Bruder Scharley schon seit
     über einem Jahr in den Reihen von Tábor und hat einen Urlaub verdient. Zweitens hat mir Bruder Neplach deine Verdienste geschildert,
     Bruder Bielau. Aufopferungsvoll hast du gegen die Feinde unserer Sache gekämpft, heldenhaft, so scheint’s, hast du am sechsten
     September gegen die Aufständischen in Prag gekämpft. Du hast Verwundete gepflegt, ohne zu trinken, zu essen oder zu schlafen.
     Das verdient zweifellos eine Belohnung. Drittens aber und am wichtigsten ist   ...«
    Er blieb stehen und drehte sich um. Sie waren schon bei der Scheune angelangt, die derzeit als Hauptquartier und Sitz des
     Stabes diente.
    »Was am wichtigsten ist, erfahrt ihr später, wir kommen noch auf die Sache zurück. Jetzt habe ich anderes zu tun. Ihr werdet
     gleich sehen, was. Ihr werdet zuhören, denn ich behalte euch bei mir.«
    »Bruder   ...«
    »Das war ein Befehl! Gehen wir! Und euer Diener   ... Ach, ich sehe, der hat schon eine Beschäftigung gefunden. Das ist gut. Dann stört er nicht.«
    Samson Honig, der wie üblich so tat, als sähe und verstünde er nichts, hatte sich an einer Wand der Scheune niedergelassen,
     sein Messer hervorgezogen und begonnen, Stöckchen zu schneiden. Samson schnitt oft Stöckchen. Erstens, hatte er erklärt, sei
     das eine Beschäftigung, die vortrefflich zu einem Idioten passe, schließlich sehe er aus wie einer. Zweitens habe das Stöckchenschneiden
     eine beruhigende Wirkung und beeinflusse Nerven und Verdauung vorteilhaft. Und drittens helfe ihm, dem zum Zuhören Verdammten,
     das Hölzchenschnitzen bei Diskussionen über Politik und Religion, denn der Geruch frischer Späne mindere den Brechreiz.
    Sie betraten die Scheune, einen großen Bau, der, obwohl schon vor längerer Zeit den Bedürfnissen des Stabes angepasst, immer
     noch angenehm nach Heu roch. Drinnen erwarteten |126| sie, über Landkarten gebeugt, zwei Menschen. Der eine war klein und schmächtig und wie hussitische Kapläne ganz in Schwarz
     gekleidet. Der zweite, jüngere, der sich wie ein Ritter gab, war kräftiger gebaut und blond, sein Gesicht glich teils dem
     eines Cherubins, teils war es von einer überwältigenden Müdigkeit gezeichnet und erinnerte an flämische Miniaturen aus dem
     ›Stundenbuch‹ des Herzogs von Berry.
    »Endlich«, sagte der Kleinere, Schwarze. »Wir warten schon eine geraume Weile, Bruder Prokop.«
    »Pflichten, Bruder Prokop.«
    Im Gegensatz zu seinem Namensvetter trug jener zweite Prokop einen Bart, der dünn und ungepflegt war und daher eher lächerlich
     wirkte. Wegen seines geringen Wuchses trug er auch den entgegengesetzten Beinamen – er hieß Prokop der Kleine oder Prokupek.
     Zu Beginn ebenfalls nur ein Prediger unter vielen, hatte er sich bei den Hussiten, genauer gesagt, bei den Waisen, nach dem
     Tode von Jan Žižka von Trocnov hervorgetan. Zusammen mit Ambros von Hradec Králové hatte Prokupek an Žižkas Totenbett gestanden,
     und die Waisen betrachteten die Zeugen der letzten Atemzüge ihres verehrten Anführers geradezu als Heilige. Es passierte,
     dass sie vor ihnen niederknieten und den Saum ihrer Gewänder küssten, es kam vor, dass Mütter ihre fieberkranken Kinder zu
     ihnen brachten. Diese Verehrung hatte aus Prokupek den wichtigsten geistlichen Führer gemacht – bei den Waisen versah er also
     ein Amt, das dem entsprach, welches Prokop in Tábor vor der Übernahme seiner Aufgabe als

Weitere Kostenlose Bücher