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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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kannte ihn nur zu gut. Samson glaubte schlicht und ergreifend nicht an den
     Erfolg dieses Unternehmens. Als er am Ende dann doch noch zustimmte, hatte Reynevan den Eindruck, er tue dies nur aus Höflichkeit.
    Blieb Scharley. Scharleys Ansichten über dieses Unternehmen waren Reynevan bekannt, noch bevor er ihn überhaupt danach gefragt
     hatte. Aber er fragte ihn, der Ordnung und der Form halber.
    »Das ist ausgemachter Blödsinn«, bekundete Scharley gelassen. »Das Ganze erinnert mich noch dazu auch zu sehr an Schlesien
     vor zwei Jahren, an die denkwürdige, schwärmerische Odyssee auf den Spuren von Frau Adele. Die Reise nach Troský erscheint
     mir genauso wenig durchdacht und würde wohl auch auf die gleiche Weise ablaufen. Ich sehe das Ergebnis schon vor meinem geistigen
     Auge. Du wirst wohl niemals klüger, Reinmar.«
    »Wir haben, wie du sagst, Samson gegenüber eine Verpflichtung«, fuhr er etwas leiser und ernsthafter fort, »wir sind es ihm
     schuldig. Vielleicht verhält es sich wirklich so, ich will es gar nicht abstreiten. Aber das Leben ist nun einmal so, wie
     es ist, und eine goldene Lebensregel besagt, derlei Schulden zu vergessen und sie aus dem Gedächtnis zu tilgen. Das Leben
     ist so eingerichtet, dass ein jeder sich selbst der Nächste ist. Seinem Freund zu helfen, warum nicht, aber bitte nicht auf
     eigene Kosten. Ich behaupte, wir haben genug für Samson getan, und wenn sich eine Gelegenheit dazu ergibt, werden wir auch
     noch mehr tun. Eine solche Gelegenheit wird sich früher oder später ergeben, da bin ich sicher, wir müssen uns nur hinsetzen
     und |123| geduldig darauf warten. Lasst uns also die Gelegenheit abwarten. Warum sollen wir sie suchen und dabei auch noch Prügel riskieren?
     Lass uns an unsere eigene Haut denken und an unseren eigenen Körper, Reinmar, denn das ist das Wichtigste. Warum sollen wir
     unsere Körper einer solchen Gefahr aussetzen, Junge? Wohin willst du uns führen? Umsturz, Krieg und Brand dauern fort, Chaos,
     Wirrwarr und Gesetzlosigkeit herrschen. Es ist jetzt keine gute Zeit für verrückte Unternehmungen. Dazu noch ohne jegliche
     Vorbereitung.«
    »Du irrst dich«, entgegnete Reynevan. »Ich bin mit dem, was du sagst, überhaupt nicht einverstanden. Nicht nur in puncto deiner
     zynischen Lebensregeln, und auch nicht im Hinblick darauf, was im Leben das Wichtigste ist. Ich bin nicht damit einverstanden,
     wie du die Situation einschätzt. Denn die Zeit für unser Unternehmen ist nicht nur günstig, sie drängt geradezu. Nicht nur,
     dass Podeštědí und das Vorland von Jitschin von unseren Truppen gehalten werden, die wenigen katholischen Herren dieser Gegend
     sind vor Schreck gelähmt, die Niederlage der Kreuzfahrer bei Tachau hat ihre Moral untergraben. Sie sind wie Bienen, die der
     Rauch betäubt hat. Wenn wir also losziehen wollen, dann jetzt, bevor sie sich besinnen und wieder in der Lage sind, zuzustechen.
     Was sagst du dazu?«
    »Nichts.«
    »Was die ab jetzt stattfindende Vorbereitung betrifft, hast du Recht. Lass uns damit beginnen. Was schlägst du vor?«
    Scharley seufzte.
     
    Reynevan und Samson verließen Prag am zehnten Oktober, dem Festtag des heiligen Gereon und seiner Märtyrerbrüder, der in diesem
     Jahr auf einen Freitag fiel. Sie verließen die Stadt am frühen Morgen. Als sie durch das Porzyczker Tor ritten, kam hinter
     den Wolken die Sonne hervor und übergoss Vítkov und Špitálské Feld mit dem märchenhaften Glanz wechselnder Farben. Diesen
     das Herz erfreuenden Anblick nahm Reynevan als gutes Zeichen und Omen.
    |124| Weder er noch Samson fühlten sich sonderlich gut. Sie hatten beide eine ausgiebige und bis tief in die Nacht hinein dauernde
     Abschiedsfeier mit den Magiern aus der Apotheke »Zum Erzengel« hinter sich. Reynevan seufzte und setzte sich wieder im Sattel
     zurecht – er hatte auch noch feierlich Abschied von Frau Blažena Pospichalova nehmen müssen.
    Sie wollten nach Kolín, das seit Mitte September von Tábor, den Waisen und den Pragern belagert wurde. Die Besatzer befehligte
     Prokop der Kahle. Scharley befand sich unter Prokops Soldaten. Den Monat, der seit ihrer Trennung vergangen war, hatte Scharley
     zur Vorbereitung ihres Unternehmens nutzen sollen. Er hatte behauptet, über entsprechende Möglichkeiten dazu zu verfügen.
     Reynevan glaubte ihm. Scharley verfügte sowohl über die Möglichkeiten als auch über die Mittel. Der Demerit verschwieg keineswegs,
     ja er prahlte hin und wieder sogar

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