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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Oberbefehlshaber innegehabt hatte.
    »Pflichten«, wiederholte Prokop der Große und deutete vage in Richtung belagerte Stadt. Auf seine Worte hin erhob sich ein
     fürchterliches Getöse, die Wände erzitterten, und Dreck und Staub rieselten von der Decke herab. Der Büchsenmeister hatte
     endlich mit seiner Zweihundertpfund-Bombarde losballern können. Gleichzeitig bedeutete das aber auch Stille bis zum Morgen,
     denn solch eine Bombarde musste nach dem Abfeuern mindestens sechs Stunden auskühlen.
    |127| »Verzeih, Bruder, dass ich dich warten ließ. Und du auch, Bruder Wyszek.«
    Wyszek Raczyňski war Reynevan schon früher begegnet, vor Aussig, bei den Reitern des Jan Roháč z Dubé. Der Weg, der den Polen
     zu den Hussiten geführt hatte, war ein ungewöhnlicher gewesen – Wyszek war 1421 als Abgesandter des litauischen Fürsten Witold
     nach Prag gekommen und in dessen Diensten verblieben. Bei dieser Mission war es, wie heute jeder wusste, um die Krone Böhmens
     für Zygmunt Korybut gegangen. Raczyňski hatte an der böhmischen Revolution Gefallen gefunden, besonders nach der Begegnung
     mit Žižka, Roháč und den Taboriten, die dem Polen wesentlich mehr zusagten als die weitaus gemäßigteren Calixtiner, mit denen
     er über Witolds Anliegen verhandelte. Raczyňski hatte sich eilends den Taboriten angeschlossen, und mit Roháč verband ihn
     eine echte Freundschaft.
    Auf ein Zeichen von Prokop setzten sich alle an den mit Landkarten bedeckten Tisch. Reynevan fühlte sich unbehaglich, er wusste,
     dass er hier ein Eindringling war, der zu der Gesellschaft nicht so recht passen wollte. Diese Empfindung wurde auch durch
     Scharleys heitere Nonchalance nicht gebessert, denn Scharley fühlte sich überall ganz wie zu Hause. Auch die Tatsache, dass
     Prokupek und Raczyňski keine Einwände gegen ihre Anwesenheit vorbrachten, war wenig hilfreich, denn sie waren daran gewöhnt.
     Prokop hatte ständig irgendwelche Kundschafter, Gesandte, Emissäre und Leute für besondere Aufgaben – manchmal sogar ganz
     spezielle – um sich.
    »Das wird keine kurze Belagerung.« Prokop der Kahle beendete das Schweigen. »Wir liegen schon seit dem Tag der Aufrichtung
     des Kreuzes vor Kolín, und ich betrachte es als Erfolg, wenn sich die Stadt noch vor dem Advent ergibt. Es kann gut sein,
     Bruder Wyszek, dass du mich bei der Rückkehr von Polen noch hier antreffen wirst. Wann machst du dich auf den Weg?«
    »Morgen in aller Frühe. Über Odrau, dann über Teschen bis nach Zator.«
    »Hast du keine Angst aufzubrechen? Jetzt kann dich in Polen |128| nicht nur Oleśnicki, sondern auch jeder Starost einkerkern. Den Gesetzen gemäß, die Jagiełło erlassen hat. Wahrscheinlich,
     weil er Bauchweh bekommen hat.«
    Alle, auch Reynevan, wussten, worum es ging. Seit April 1424 galt im Königreich Polen das Edikt von Wielu ń, das Bischof Oleśnicki,
     der Luxemburger und die päpstlichen Legaten Jagiełło abgezwungen hatten. In diesem Edikt war – obwohl darin weder der Name
     Hus noch die Bezeichnung »Hussiten« vorkam –
expressis verbis
von Böhmen als einem Gebiet, das von der Häresie befallen war, die Rede, und es verbot den Polen den Handel mit Böhmen und
     Reisen nach Böhmen überhaupt; denjenigen, die sich dort aufhielten, wurde befohlen, unverzüglich zurückzukehren. Auf Ungehorsame
     warteten die Ehrlosigkeit und der Verlust ihrer Besitztümer. Darüber hinaus hatte das Edikt prinzipiell die Rechtslage gegenüber
     Ketzern verändert – war Häresie bislang in Polen ein Vergehen gewesen, das von kirchlichen Gerichten geahndet worden war,
     so war sie nun ein Verbrechen gegen Königtum und König, ein
crimen laesae maiestatis
, und Hochverrat. Bei der Verfolgung und Bestrafung von Häresie war nun der gesamte Staatsapparat beteiligt, und für die für
     schuldig Befundenen bedeutete diese Änderung die Todesstrafe.
    Die Böhmen hatte dies naturgemäß verärgert – Polen war für sie bislang ein ihnen freundlich gesinntes Bruderland gewesen,
     und nun war plötzlich anstelle einer gemeinsamen Front gegen die »Deutschen« eine Beleidigung getreten – aus der gemeinsamen
     Front war ein Affront geworden. Die Mehrheit hatte jedoch Verständnis für die Beweggründe Jagiełłos und begriff die Regeln
     jenes komplizierten Spiels, das zu spielen er gezwungen war. Kurz darauf erwies sich, dass das Edikt nur auf dem Papier gefährlich
     war – und dabei blieb es buchstäblich auch. Wenn also ein Böhme »Edikt von

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